Wissenschaftsjahr 2007 - 26.09. - 02.10.2007

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26.09. - 02.10.2007

Im Blickpunkt

Aktualitätsorientiert: Orientalistentag in Freiburg

Recht einig sind sich die Berichterstatter vom Orientalistentag in Freiburg darin, dass die beteiligten Fächer seit dem 11. September einen Aktualitätsschock erfahren haben. Rainer Hermann hält in der FAZ die sich abzeichnende Tendenz zur Entphilologisierung und Gegenwartsfixierung aber für nicht unproblematisch: "Allen Fächern der Orientalistik ist gemein, dass sie sich von der Philologie entfernen und zu Regional- und Kulturwissenschaften werden. Nicht wenige begegnen diesem Trend mit Skepsis. Hans van Ess, Professor für Sinologie in München, klagt, dass der Begriff 'Regionalstudien' missbraucht werde, um die philologische Kompetenz des Fachs auszuhöhlen. Dabei ließen sich andere Kulturen durch die Kenntnis ihrer Sprachen erschließen."

Ganz ähnlich argumentiert Elisabeth Kiderlen in der NZZ: "Dem überwältigenden Druck aus der Politik gegenüber spielten Literatur, Architektur, Geistes- und Kulturgeschichte nur eine periphere Rolle. Aber begegnet uns der Orient inzwischen tatsächlich nur noch als Problem und nicht immer auch als Möglichkeit, eine große Kultur zu erfahren und zu verstehen? Der alles andere dominierenden Fokussierung auf aktuelle politische und gesellschaftliche Fragestellungen hätte ein großer geisteswissenschaftlicher Vortrag entgegenwirken müssen."

Im Tagesspiegel berichtet Andrea Dernbach aus Freiburg.

FAZ, 2.10.

Evolutionsbiologisch: Germanistentag in Marburg

Mit unterschiedlicher Akzentuierung wird vom diesjährigen Germanistentag in Marburg berichtet. In der FAZ zeigt sich Oliver Jungen wenig begeistert davon, dass nun sogar die Germanisten auf die Evolutionsbiologie verfallen sind: "Immer kürzer werden zudem die Halbwertszeiten der Moden. Die neuste Sau im Germanistendorf ist, ohne jede Ironie, ein Affe. Durch frappierend viele Vorträge des Verbandstreffens, das unter dem nicht eben innovativen Titel 'Natur - Kultur' stand, rasten die Primaten. Die Kokosnuss geklaut hat diesmal die Evolutionsbiologie - wohl deshalb die jüngste Wahlverwandte der Germanistik, weil man eine gemeinsame anthropologische Basis unterstellt."

In der SZ konstatiert Florian Kessler dagegen eine Besserung gegenüber den vorangegangenen Germanistentagen: "Die Oberthemen der vorangegangenen Germanistiktage in Erlangen 2001 und München 2004 konnten die schiere Masse beliebiger Methoden kaum deckeln, die Kongressteilnehmer präsentierten einfach nur noch vor sich hin. Diesmal aber waren zahlreiche Sektionsthemen und Podien so klug auf das Generalthema zugespitzt, dass die Teilnehmer schlichtweg nicht ganz aneinander vorbei argumentieren konnten. Kleinster Nenner ihrer verschiedenen Panele war die Faszination hart empirischer Wissenschaftsverfahren."

FAZ, 28.9.

SZ, 28.9.

Themen der Woche

Deutsches Bellen und globalisiertes Englisch

Der Romanist Jürgen Trabant hält es in einem von der FAZ abgedruckten Vortrag für so begreiflich wie bedauerlich, dass die Deutschen sich in der globalisierten Wissenschaft so wenig für ihre eigene Sprache einsetzen. Schließlich habe man das deutsche "Bellen" der Nationalsozialisten aus gutem Grund noch im Ohr. Die Folgen dieser "Sprachscham" seien, so Trabant, dennoch fatal: "Die deutschen Eliten haben also in den internationalen Prestige-Diskursen das Deutsche aufgegeben. Sie sprechen globalesisch mit der Welt und untereinander. Dass dies so ist, ist nicht nur der Effekt der anglo-amerikanischen Weltdominanz, sondern, in seiner besonderen Willfährigkeit, Geschwindigkeit und Gründlichkeit, auch eine Folge der durch das Sprachgebell erzeugten Sprachscham. Englisch sprechend distanziere ich mich von der Bellgemeinschaft. Englisch sprechend bin ich nicht nur international, sondern vor allem auch nichtdeutsch, nicht schuldig."

FAZ, 28.9.


Zur Aktualität des Christentums in Europa

Für ganz falsch hält der an der Penn State University lehrende Professor für Religion und Geschichte Philip Jenkins in einem Beitrag für die SZ das Klischee eines sich von der Religion abwendenden Europa: "In den meisten Teilen Europas sind die christlichen Traditionen überraschenderweise stärker denn je - ausgerechnet auf einem Kontinent, den man lange für einen Sumpf verschiedenster Glaubensrichtungen hielt. Doch obwohl unzählige Statistiken den Verfall von formal festgelegten religiösen Riten und den Abfall von den staatlich anerkannten Kirchen beweisen, kann man deutliche Hinweise für ein neues Wachstum der Religion entdecken."

SZ, 1.10.

Das Marxismus-Leninismus-Projekt

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ zeichnet Tim B. Müller die Geschichte des erstaunlichen New Yorker "Marxismus-Leninismus-Projekts" nach, an dem der marxistische Philosoph Herbert Marcuse prägend mitwirkte: "Das 'Marxismus-Leninismus-Projekt' folgte der Logik des kalten Krieges. Wissenschaft sollte nicht einfach nur eine Waffe im Arsenal des Kalten Kulturkriegs sein. Hoch über New York ging man davon aus, dass eine von Politik und Verwaltung unbehelligte, zwar politisch reflektierte, aber unpolitischen geisteswissenschaftlichen Objektivitätsidealen verpflichtete Forschung einen nicht unbedeutenden Nutzen abwerfen könnte. Welcher chilenische oder indische Jungakademiker würden noch nach Moskau blicken, wenn erwiesen wäre, dass selbst die Marxismusforschung im Westen ideologisch unbehinderter, philologisch und historisch genauer, in ihrer Texttreue gegenüber den revolutionären Denkern unübertroffen war?"

FAZ, 26.9.

Theater als Fest

Anlässlich eines Kongresses über Dramaturgie sprechen die Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann und Patrick Primavesi in der FR über die Perspektiven ihres Fachs wie des Gegenwartstheaters. Primavesi stellt fest: "Theater ist ein Fest, das sich selbst reflektiert, ein Ritual, das mit seinen Gesetzen spielt. Es ist das Fest und die Infragestellung des Festes zugleich. Dadurch begreifen sich die Zuschauer neu als Teil ihrer Gesellschaft. Dadurch sind auch die Versuche, den Rahmen des Theaters umzudefinieren, nicht einfach Fortsetzungen des Regietheaters nach dem Motto 'Wie weit kann man noch gehen', beim Brechen von noch mehr Tabus. Es geht jetzt darum, den Kontext des Theaters zu thematisieren."

Porträt des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen

Lorenz Jäger porträtiert in der FAZ den Literaturwissenschaftler Helmut Lethen, dessen "Verhaltenslehren der Kälte" Jäger für "eines der literaturwissenschaftlichen Bücher" hält, "von denen man sagen kann, dass sie in ihrer Disziplin Epoche gemacht haben... Die Heroen des einstmals scharf linksgerichteten Literaturwissenschaftlers wie Brecht und Benjamin offenbarten mit wachsendem zeitlichem Abstand eine so frappierende Ähnlichkeit mit ihren Widersachern, dass die Lektüre von Lethens Buch wirkte, als betrachte man sehr schnell sehr viele alte Familienfotos: Großväter und -mütter erscheinen uns ja stets weniger individuell, überraschend tritt der Typus hervor."

FAZ, 26.9.

Historiker Richard J. Evans feiert sechzigsten Geburtstag

In der FAZ gratuliert Patrick Bahners dem britischen Historiker Richard J. Evans zum sechzigsten Geburtstag, der mit umfangreichen Studien zur Geschichte der Cholera, zur deutschen Todesstrafe, zur Frauenemanzipation und zuletzt zur Geschichte des Dritten Reiches nicht zuletzt eines beweise: "Richard Evans, der in Oxford studierte, in Norwich und am Birkbeck College der Universität London unterrichtete und 1998 den ehrenvollen Ruf auf einen der wenigen Lehrstühle der Universität Cambridge annahm, beweist, dass der Leviathan der heutigen Hochschulbewirtschaftung einen energischen und ausdauernden Autor nicht vom Bücherproduzieren abhalten kann."

FAZ, 29.9.

Bücher und Rezensionen

Deutsches Bellen und globalisiertes Englisch

Der Romanist Jürgen Trabant hält es in einem von der FAZ abgedruckten Vortrag für so begreiflich wie bedauerlich, dass die Deutschen sich in der globalisierten Wissenschaft so wenig für ihre eigene Sprache einsetzen. Schließlich habe man das deutsche "Bellen" der Nationalsozialisten aus gutem Grund noch im Ohr. Die Folgen dieser "Sprachscham" seien, so Trabant, dennoch fatal: "Die deutschen Eliten haben also in den internationalen Prestige-Diskursen das Deutsche aufgegeben. Sie sprechen globalesisch mit der Welt und untereinander. Dass dies so ist, ist nicht nur der Effekt der anglo-amerikanischen Weltdominanz, sondern, in seiner besonderen Willfährigkeit, Geschwindigkeit und Gründlichkeit, auch eine Folge der durch das Sprachgebell erzeugten Sprachscham. Englisch sprechend distanziere ich mich von der Bellgemeinschaft. Englisch sprechend bin ich nicht nur international, sondern vor allem auch nichtdeutsch, nicht schuldig."

FAZ, 28.9.


Zur Aktualität des Christentums in Europa

Für ganz falsch hält der an der Penn State University lehrende Professor für Religion und Geschichte Philip Jenkins in einem Beitrag für die SZ das Klischee eines sich von der Religion abwendenden Europa: "In den meisten Teilen Europas sind die christlichen Traditionen überraschenderweise stärker denn je - ausgerechnet auf einem Kontinent, den man lange für einen Sumpf verschiedenster Glaubensrichtungen hielt. Doch obwohl unzählige Statistiken den Verfall von formal festgelegten religiösen Riten und den Abfall von den staatlich anerkannten Kirchen beweisen, kann man deutliche Hinweise für ein neues Wachstum der Religion entdecken."

SZ, 1.10.

Das Marxismus-Leninismus-Projekt

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ zeichnet Tim B. Müller die Geschichte des erstaunlichen New Yorker "Marxismus-Leninismus-Projekts" nach, an dem der marxistische Philosoph Herbert Marcuse prägend mitwirkte: "Das 'Marxismus-Leninismus-Projekt' folgte der Logik des kalten Krieges. Wissenschaft sollte nicht einfach nur eine Waffe im Arsenal des Kalten Kulturkriegs sein. Hoch über New York ging man davon aus, dass eine von Politik und Verwaltung unbehelligte, zwar politisch reflektierte, aber unpolitischen geisteswissenschaftlichen Objektivitätsidealen verpflichtete Forschung einen nicht unbedeutenden Nutzen abwerfen könnte. Welcher chilenische oder indische Jungakademiker würden noch nach Moskau blicken, wenn erwiesen wäre, dass selbst die Marxismusforschung im Westen ideologisch unbehinderter, philologisch und historisch genauer, in ihrer Texttreue gegenüber den revolutionären Denkern unübertroffen war?"

FAZ, 26.9.

Theater als Fest

Anlässlich eines Kongresses über Dramaturgie sprechen die Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann und Patrick Primavesi in der FR über die Perspektiven ihres Fachs wie des Gegenwartstheaters. Primavesi stellt fest: "Theater ist ein Fest, das sich selbst reflektiert, ein Ritual, das mit seinen Gesetzen spielt. Es ist das Fest und die Infragestellung des Festes zugleich. Dadurch begreifen sich die Zuschauer neu als Teil ihrer Gesellschaft. Dadurch sind auch die Versuche, den Rahmen des Theaters umzudefinieren, nicht einfach Fortsetzungen des Regietheaters nach dem Motto 'Wie weit kann man noch gehen', beim Brechen von noch mehr Tabus. Es geht jetzt darum, den Kontext des Theaters zu thematisieren."

Porträt des Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen

Lorenz Jäger porträtiert in der FAZ den Literaturwissenschaftler Helmut Lethen, dessen "Verhaltenslehren der Kälte" Jäger für "eines der literaturwissenschaftlichen Bücher" hält, "von denen man sagen kann, dass sie in ihrer Disziplin Epoche gemacht haben... Die Heroen des einstmals scharf linksgerichteten Literaturwissenschaftlers wie Brecht und Benjamin offenbarten mit wachsendem zeitlichem Abstand eine so frappierende Ähnlichkeit mit ihren Widersachern, dass die Lektüre von Lethens Buch wirkte, als betrachte man sehr schnell sehr viele alte Familienfotos: Großväter und -mütter erscheinen uns ja stets weniger individuell, überraschend tritt der Typus hervor."

FAZ, 26.9.

Historiker Richard J. Evans feiert sechzigsten Geburtstag

In der FAZ gratuliert Patrick Bahners dem britischen Historiker Richard J. Evans zum sechzigsten Geburtstag, der mit umfangreichen Studien zur Geschichte der Cholera, zur deutschen Todesstrafe, zur Frauenemanzipation und zuletzt zur Geschichte des Dritten Reiches nicht zuletzt eines beweise: "Richard Evans, der in Oxford studierte, in Norwich und am Birkbeck College der Universität London unterrichtete und 1998 den ehrenvollen Ruf auf einen der wenigen Lehrstühle der Universität Cambridge annahm, beweist, dass der Leviathan der heutigen Hochschulbewirtschaftung einen energischen und ausdauernden Autor nicht vom Bücherproduzieren abhalten kann."

FAZ, 29.9.

Konferenzen und Tagungen

Religion in der Gegenwart

Johan Schloemann war für die SZ beim Symposium des "Philosophicum Lech" und hat den Vorträgen und Diskussionen zur Frage nach der Gegenwart und der Notwendigkeit der Religion gelauscht. Die Diagnosen waren durchaus kontrovers, eine vermittelnde Position nahm der Philosoph Martin Seel ein, "der nach der 'Denkbarkeit' einer rein säkularen Gesellschaft fragte und zum Ergebnis kam, eine solche könnte zwar wohl 'halbwegs gerecht' funktionieren, sie wäre aber 'historischer Tiefe und kultureller Differenz' verlustig. Die Erfahrungen der 'Selbsttranszendenz', die eine 'fundamentale Quelle der Normativität' sei, könnten wohl auch rein innerweltlich bleiben; als Religion habe dieser Vorgang aber gleichsam mehr Saft und Kraft - fiele sie weg, dann fehlte der ganzen Gesellschaft ein besonders intensives 'Weltvertrauen und Weltmisstrauen'."

SZ, 1.10.

MedienGrass

In Bremen fand eine Konferenz statt, in der es um das Verhältnis des Schriftstellers Günter Grass zu den Medien ging. Germanisten und Fans waren gekommen, vor allem aber auch der Gegenstand der Tagung selbst, wie Frank Keil in der Welt berichtet: "Er sprach knapp und dunkel von einer schweren Zeit, die er hinter sich gebracht habe, empfahl den Gästen, die ähnliches durchlebt hätten als Tröstung die Literatur des Jean Paul und setzte dann hinzu: 'Sie können mir glauben, es ist schon etwas seltsam, wenn man da in der ersten Reihe sitzt und es wird so viel über jemanden gesprochen, der meinen Namen trägt.'"

Wolfgang Schneider erfuhr, wie in der FAZ nachzulesen ist, auf der Tagung, dass Grass in der arabischen Welt den allerbesten Ruf genießt: "Jedes Statement gegen den Irakkrieg und die 'heuchlerische' Bush-Politik wird auf islamischen Websites gefeiert. Seit seiner Parteinahme im Karikaturen-Streit gegen die Meinungsfreiheit gilt Grass als 'eine der bedeutendsten europäischen Persönlichkeiten auf Seiten der Muslime'; sein Vorschlag, eine Lübecker Kirche in eine Moschee umzuwidmen, hat ihm den Ruf als 'Urheber der mutigsten Ideen' eingebracht."

FAZ, 2.10.


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