Wissenschaftsjahr 2007 - 28.11. - 04.12.2007

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28.11. - 04.12.2007

Im Blickpunkt

Die Fremdheit der Geisteswissenschaften

Das Jahr der Geisteswissenschaften neigt sich seinem Ende zu. Zeit für erste Rück- und Ausblicke. Der Tagesspiegel berichtet von einer Veranstaltung in Berlin, die eine Bilanz des Jahres der Geisteswissenschaften zog. Vorgestellt wurde dabei auch ein an der Uni Potsdam erarbeiteter Atlas zu den sogenannten "Kleinen Fächern" an deutschen Hochschulen: "Jetzt konnte Schavan die lange erwartete Kartierung dieser Exoten vorlegen, deren Bestand an deutschen Unis gefährdet ist. Zu den ganz Kleinen gehören die 'Translatologie', die Wissenschaft vom  Übersetzen, oder die 'Provinzialrömische Archäologie'. Gefährdet sind auch die 'Sorabistik' und die 'Friesistik', die gleichwohl für die kulturelle Vielfalt in Deutschland stehen. (...)" Als klein gilt ein Fach, das an höchstens acht staatlichen Hochschulen vertreten ist und dort nur je zwei bis drei Professuren hat. Zurzeit gibt es rund 120 Kleine Fächer."

Und in der Welt meint Berthold Seewald, dass die Initiative schon deshalb genützt habe, weil die Ausgangslage katastrophal war: "Wenn jetzt Kulturlobbyisten als wichtigste Leistung ihres Jahres konstatieren, die Geisteswissenschaften hätten gezeigt, dass sie sich mit konkreten gesellschaftlichen Fragen beschäftigten (was offensichtlich überraschend ist), dann lässt das nur erahnen, wie fremd Geschichte oder Philosophie Vielen geworden sind. Das gilt nicht zuletzt für die Medien. Wenn ihre Vertreter in diesem Jahr endlich begriffen haben sollten, dass es neue Namen und Forschungen nach den längst emeritierten Mandarinen ihrer Studienjahre gibt, dann hätten die Geisteswissenschaften wirklich viel gewonnen. "

Themen der Woche

Blick in die Bibliothek

Die NZZ hat für ihre Wochenendbeilage Literatur und Kunst Autoren und Künstler wie Alexander Kluge und Alfred Brendel (und eine Autorin: Friederike Mayröcker) um Einblick in ihre Bibliotheken gebeten. Gefragt wurden aber auch der Kunstphilosoph Arthur C. Danto und der Experte für mittelalterliche Mystik Alois M. Haas. Haas hat gerade seine 40.000 Bände umfassende Bibliothek der Universitat Pompeu Fabra in Barcelona vermacht. In seinem Text erinnert er zunächst aber an eine der berühmtesten privaten Kunstbibliotheken des 20. Jahrhunderts: "Eine wissenschaftliche Bibliothek von Rang muss von langer Hand vorbereitet werden. Aby Warburg hat mit seinem frühen und lebenslangen Verzicht auf den Beruf als Banker und gleichzeitigem familiärem Arrangement, alle zu kaufenden Bücher von seinem Bruder bezahlen zu lassen, gezeigt, wie eine kulturwissenschaftlich konzipierte Bibliothek mit Verstand aufgebaut werden muss. Dass mir ein solcher Weg verschlossen blieb, war mir immer klar; da fehlten alle ökonomischen Voraussetzungen."

Arthur C. Danto erklärt die Eigenart seiner eher idiosynkratisch zusammengestellten Bibliothek: "Wenn ich es mir genauer überlege, dann lassen sich meine Bücher als fortlaufende Spiegelung meiner persönlichen Geistesgeschichte betrachten. Jedes Buch hat seine – schon fest umrissene oder erst potenzielle – Bedeutung für etwas, das ich geschrieben habe oder noch schreiben möchte; und obwohl ich immer sehr viel gelesen habe, wohnt den Büchern, die ich behalte, stets die besondere Verheißung inne, dass sie da sein werden, wenn ich sie brauche. Es ist die Bibliothek eines Schriftstellers, obwohl ich – zumindest bis vor zwanzig Jahren, als ich mich der Kunstkritik zuwandte – primär philosophische Texte für Philosophen verfasste."

Sprechen über Aids

Im Interview mit Klaus Walter denkt die Kulturwissenschaftlerin Brigitte Weingart in der taz am Weltaidstag über das Sprechen über Aids nach: "Der andere verräterische Ort der Sprache ist das metaphorische Sprechen. Ich möchte auf keinen Fall die Vorstellung verteidigen, es gäbe ein Sprechen jenseits von Metaphern. Wir brauchen Metaphern, um uns über komplizierte Dinge wie Infektion oder medizinisches Wissen zu verständigen. Aber das Reden in Kampf-Metaphern im Aids-Diskurs ist auch immer Ausdruck von einer Wahrnehmung des Körpers als Schlachtfeld. Körpergrenzen erscheinen als bedrohte Grenzen, die gerade an den Öffnungen von Invasionsgefahren heimgesucht werden."

Mythologie als ethnologische Experimentalwissenschaft

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ geht es um Oskar Goldberg, der in den zwanziger Jahren mit seinem zwischen Okkultismus und Wissenschaft changierenden Buch "Die Wirklichkeit der Hebräer" Aufsehen erregte. Lorenz Jäger stellt ihn vor: "Oskar Goldberg gehörte zu jenen Denkern, die, wie René Guenon, Julius Evola und noch Mircea Eliade, eine verkannte Wahrheit des Mythos wieder ins Bewusstsein rufen wollten. 'Mythologie', schreibt er, 'ist somit keine Altertumswissenschaft, sondern aktuelle transzendente Realitätsforschung - die Völker selbst werden Gegenstand des wissenschaftlichen Versuchs: es ist eine ethnologische Experimentalwissenschaft."

FAZ, 28.11.

Kommunikation mit Zettelkasten

Jürgen Kaube hat Einblick in den lange wegen Rechtsstreitigkeiten weggeschlossenen Zettelkasten Niklas Luhmanns erhalten und nimmt in der FAZ eine erste Kartierung vor: "Es ist keine  bertreibung, Niklas Luhmann den bedeutendsten und produktivsten Soziologen des zwanzigsten Jahrhunderts zu nennen. Als ein Geheimnis seiner Produktivität galt stets sein besonderer Zettelkasten. Soeben war er, um den jahrelang prozessiert wurde, in Bielefeld erstmals für einige wenige Stunden zugänglich. (...) Mit Luhmanns äußerer Erscheinung teilt er die Eigenschaft, in einem leeren Raum übersehen werden zu können. Er umfasst sechs mal vier Karteikästen, von denen allerdings jeder bis zum Rand mit Papierzetteln gefüllt ist, insgesamt werden es, über den Daumen geschätzt, 20 000 Zettel sein. Da Luhmann im letzten Lebensjahrzehnt den Kasten nicht mehr gefüttert hat, kommt man über mehr als dreißig Jahre auf etwa zwei Einträge pro Tag."

FAZ, 5.12.

Fotografie und Geld

Für die taz hat Alexander Cammann die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Fotogeschichte zum Thema "Glänzende Geschäfte. Fotografie und Geld" gelesen und referiert knapp einen Aufsatz des Kulturwissenschaftlers Tom Holert: "In einer fein konturierten Momentaufnahme der Fünzigerjahre analysiert Tom Holert zwischen Marilyn Monroe und deren Fotografen Cecil Beaton, Pin-Up- und Werbefotos den damaligen Siegeszug der Glamourfotografie: In dieser visuell inszenierten, meist weiblichen Körperlichkeit verbanden sich stets ästhetische, sexuelle und finanzielle Aspekte. Immer schon hat die Kapitalismuskritik auf den Warencharakter der Fotografie hingewiesen, mit mehr oder minder deutlichen kulturkritischen Untertönen."

Homepage der Zeitschrift Fotogeschichte:

Bücher und Rezensionen

In der taz unterhalten sich Stefan Reinecke und Christian Semler mit dem britischen Historiker Simon Sebag Montefiore über dessen neuestes Buch, indem er die Jugend Stalins schildert - und auch der Frage nachgeht, wie sich die Brutalität des späteren Sowjet-Diktators erklären lässt. Montefiore meint: "Die 'Kultur der Gewalt' ist ein wichtiger Erklärungsfaktor. Die Gegend, in der Stalin aufwuchs, war durchtränkt von körperlicher Gewalttätigkeit, von der Allgegenwart unterschiedlicher Formen von Terror. Ich würde allerdings nicht speziell von einer georgischen, sondern von einer kaukasischen Kultur der Gewalttätigkeit sprechen. Nicht nur deklassierte Gangster bedienten sich gewaltsamer Mittel wie der Erpressung, des Raubes, der Banküberfälle und der Entführung, sondern ebenso Angehörige der Oberschicht: der Typus des Aristokraten als Outlaw."

Konferenzen und Tagungen

Medien der Kunstkritik

In Wien wurde ein Symposion mit dem Titel "Durch die Formate - Wie die Gegenwartskunst in den Medien erscheint" veranstaltet. Kritikerinnen wie Wissenschaftler diskutierten über Möglichkeiten und Grenzen der Kunstkritik. Saskia Draxler berichtet in der taz: "Der Frankfurter Philosoph Martin Seel eröffnete die Runde mit einem Plädoyer für einen Typus des Kritikers, den er den 'Opportunisten' nennt. Diesem gelingt es, sein in erster Linie persönliches Erlebnis zu analysieren und sprachlich mitzuteilen. Kunst sei Präsentation, die auf Präsentation angewiesen ist, das 'Wort' stünde somit automatisch über dem 'Bild'. Der Opportunist sei ein 'Gelegenheitsarbeiter', der bei gegebenem Anlass die Lust entwickle, sich 'vom Werk bestimmen zu lassen', und dennoch so viel Distanz bewahre, um darin 'das Neue zu sehen und zu beschreiben, wie es funktioniert'. Eine echte Begegnung zwischen Kritikersubjekt und Kunst finde statt, wenn 'die Wahrnehmung ein Verstehen und das Verstehen eine Wahrnehmung' sei."


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