Kipppunkte von Ökosystemen auf dem Prüfstand - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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27.08.2020

Kipppunkte von Ökosystemen auf dem Prüfstand

Kurz & Knapp
  • Kipppunkte sind eine Richtschnur für umweltpolitische Entscheidungen. Solche Schwellenwerte markieren, ab welchem Punkt Umweltbelastungen gesunde Ökosysteme grundlegend verändern.
  • Doch wie aussagekräftig sind solche Kenngrößen? Unter der Leitung des Oldenburger Biodiversitätsexperten Helmut Hillebrand hat ein Team Meta-Analysen zu Ökosystemen auf Schwellenwerte untersucht.
  • Die Studie ergab, dass Schwellenwerte aus den Umweltdaten kaum ablesbar sind, um als Richtschnur für den Ökosystem-Schutz zu dienen. Auch würden kleinste Veränderungen vernachlässigt, die in Summe das Ökosystem aber schwer belasten können.

Was Schwellenwerte über ein Ökosystem aussagen

Kipppunkte sollen Auskunft über die Belastbarkeit von Ökosystemen geben und der Politik als Entscheidungshilfe dienen. Eine Analyse Oldenburger Forschender ergab, dass solche Schwellenwerte kaum zu ermitteln sind. Sie vernachlässigen kleinste Belastungen, sodass die Gefahr besteht, allmähliche Veränderungen zu übersehen.

Die Umweltpolitik orientiert sich bei der Betrachtung der Auswirkung von Umweltfaktoren auf Ökosysteme oft an Schwellenwerten und Kippunkten. Schwellenwerte sind die Punkte, ab denen eine Veränderung nicht mehr aufzuhalten ist. Wenn die Änderung schließlich – oft sprunghaft – eintritt und sich das Ökosystem grundlegend verändert, sprechen Forschende von einem Kipppunkt.

Wenn solche Werte jedoch zum Standardinstrument für das Bewerten des globalen Wandels werden sollen, müssen wir zeigen können, auf welchem Niveau sie eigentlich liegen”, argumentiert der Biodiversitätsexperte Helmut Hillebrand von der Universität Oldenburg.

Schwellenwert kaum messbar

Anhand der verfügbaren Daten verschafften sich die Forschenden zunächst einen Überblick darüber, wie sich Umweltbelastungen wie erhöhte Kohlendioxid- oder Nährstoffgehalte auf Ökosysteme auswirken. 36 Meta-Analysen, die 4.601 Feldexperimente umfassen, untersuchte das Team auf mögliche Schwellenwerte. Danach errechneten sie, wie stark ein Ökosystem auf jeweilige Belastungen reagiert.

Mithilfe dieser sogenannten Effektgrößen wurden dann statistische Instrumente entwickelt, die zeigen, ob das Ausmaß der Umweltreaktion mit dem Grad der Belastung tatsächlich zusammenhängt. Für einen Schwellenwert sprach, wenn ein bestimmter Belastungsgrad extrem starke Reaktionen hervorrief. Im Ergebnis dominierten zwar Meta-Analysen, bei denen der Grad der jeweiligen Belastung das Ausmaß der Reaktion klar beeinflussen. Aber nur drei von 36 Meta-Analysen lieferten statistische Beweise für eine Überschreitung eines bestimmten Schwellenwerts.

Kleine Veränderungen nicht unterschätzen

„Wenn wir nicht messen können, wie nahe ein bestimmtes Ökosystem an einem Schwellenwert liegt, der einen Kipppunkt induziert, dann kann sich auch eine Umweltrichtlinie oder eine bestimmte politische Maßnahme nicht an einem solchen Schwellenwert orientieren“, so Hillebrand. Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass die Schwellenwerte einen falschen Eindruck erwecken.

Sie würden kleinste Veränderungen vernachlässigen, sodass allmähliche Veränderungen im Ökosystem übersehen werden können. Doch auch kleine Veränderungen, so Hillebrand, könnten sich summieren und schwerwiegende Folgen haben. Hillebrand zufolge sollten Forschende und politische Entscheidungsträger daher vielmehr beachten, wie stark und wie lange Umweltschwankungen andauern und möglichen Folgen im Blick haben, um rechtzeitig gegensteuern zu können.