Agrarwandel und sozial-ökologische Nachhaltigkeit - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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02.12.2020

Agrarwandel und sozial-ökologische Nachhaltigkeit

Kurz & Knapp
  • Landwirtschaftliche Produktionssteigerungen für die Bioökonomie bringen soziale und ökologische Risiken mit sich.
  • Bioökonomie muss ganzheitlich gedacht werden und aus Erfahrungen bisheriger landwirtschaftlicher Innovationen lernen.
  • Ökonomische Ziele müssen dabei ökologischen und sozialen Zielen untergeordnet werden.

Bioökonomie und globale Agrarproduktion

Ein Beitrag von Michael Spies, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Bioökonomie – also eine post-fossile Wirtschaftsweise, die auf nachwachsenden Rohstoffen basiert – bietet gute Chancen für eine nachhaltige Zukunft. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass technische Innovationen und neue Biomasse-Nutzungen stets als Teil eines breiter gefassten Wandels verstanden werden, bei dem die ökologische und soziale Nachhaltigkeit an erster Stelle steht.

Dazu benötigt die Bioökonomie einen kritischen „Blick zurück“: Als wichtiges Ziel wird häufig die Steigerung der Biomasseproduktion in der Landwirtschaft erwähnt, durch Nutzungsintensivierung auf der einen oder Ausweitung bestehender Agrarflächen auf der anderen Seite. Doch in der Vergangenheit gingen beide Ansätze oft mit ökologischen und sozialen Problemen einher, die in den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern besonders gravierend ausfielen.

In Deutschland wird bereits heute der Großteil der Agrarrohstoffe, die nicht für Nahrungsmittel bestimmt sind, von außerhalb der Europäischen Union importiert –insbesondere aus Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens (siehe weiterführender Link). Durch die ambitionierten Bioökonomie-Ziele Deutschlands ist also eine steigende Nachfrage nach Biomasse aus diesen Ländern zu erwarten, mit vielfältigen Auswirkungen für die dortige Landwirtschaft.

Köpfe des Wandels

Dr. Michael Spies studierte Humangeographie an der Freien Universität Berlin, wo er anschließend zum Thema Agrarwandel in Nordpakistan promovierte. Seit 2017 ist er am Centre for Econics and Ecosystem Management an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde tätig, seit 2019 als Leiter der Nachwuchsgruppe „TRANSECT – Agrartransformation & sozial-ökologische Komplexitäten. Lokale Bioökonomie-Szenarien in Zentral- und Südasien“.

Aus Erfahrungen lernen

Die Untersuchung solcher Auswirkungen ist Forschungsthema der Nachwuchsforschungsgruppe TRANSECT an der Hochschule Eberswalde. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie Erkenntnisse über die Risiken bisheriger landwirtschaftlicher Intensivierungen für eine sozial- und umweltverträgliche Bioökonomie genutzt werden können. Dazu werden vertiefende Fallstudien in drei Ländern durchgeführt: Pakistan, wo die technologischen Innovationen der „Grünen Revolution“ mit einer Verschärfung sozialer Ungleichheiten einhergingen; Tadschikistan, wo die Ausweitung intensiven Baumwollanbaus starke Bodendegradation mit sich brachte; und Kasachstan, wo die Förderung großflächiger Monokulturen zu einer Verdrängung lokal angepasster Praktiken führte und die Anfälligkeit gegenüber Klimarisiken erhöhte.

All diesen Fallstudien ist gemein, dass durch Intensivierung zwar enorme Produktionssteigerungen erreicht wurden, aber dass diese auf Kosten teils gravierender sozialer und ökologischer Verwerfungen stattfanden. Ein zentraler Faktor ist dabei das Phänomen der „Pfadabhängigkeiten“: Das Ergebnis landwirtschaftlicher Interventionen ist maßgeblich von den gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten geprägt. Das führt zum Beispiel dazu, dass technische Innovationen (z. B. verbessertes Saatgut oder moderne Landmaschinen) vor allem Großbetrieben zu Gute kommen, die damit eine Ausweitung nicht-nachhaltiger Produktionsweisen vorantreiben und gleichzeitig Kleinerzeuger vom Markt verdrängen.

Sozial-ökologisch denken

Für die Bioökonomie bedeutet dies, dass vermeintlich „neutrale“ technische Innovationen in der Realität immer sehr differenzierte Wirkungen haben, die stark von den jeweiligen sozialen und politischen Rahmenbedingungen abhängen. Sinnvolle technologie- und produktivitätsorientierte Interventionen können also nur als Teil ganzheitlicher Ansätze funktionieren, die ökonomische Ziele im Zweifelsfall stets ökologischen und sozialen Zielen unterordnen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​