Demokratieprojekt Bioökonomie - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

Springe zu:

Springe zum Inhalt

13.07.2020

Demokratieprojekt Bioökonomie

Kurz & Knapp
  • Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist die Bioökonomie ein Demokratieprojekt, das Fragen nach der demokratischen Rechtmäßigkeit (Legitimität) aufwirft.
  • Die normative Güte bioökonomischer Lösungen bestimmt sich anhand der Kriterien der Responsivität, Selbstbestimmung und Rechenschaftspflichtigkeit.
  • Der Legitimierungsbedarf einer bioökonomischen Lösung variiert mit deren Ausrichtung, Reichweite, Dauerhaftigkeit und Wirkung.

Demokratieprojekt Bioökonomie

Ein Beitrag von Dr. Sandra Schwindenhammer, Justus-Liebig-Universität Gießen

„Unglaublich was heute möglich ist!“ Bioökonomische Innovationen lösen vielfach Staunen aus und ermöglichen kreative und effektive Lösungen für Nachhaltigkeitsprobleme. In der Zukunftsvision des „Agrarsysteme der Zukunft“-Verbundforschungsprojekts SUSKULT wird bspw. durch die Schließung urbaner Nährstoffkreisläufe das Abwasser von heute zum Dünger von morgen in der urbanen Nahrungsmittelproduktion. So notwendig es ist innovative bioökonomische Lösungen weiter voranzutreiben, so wenig ist damit darüber ausgesagt, ob und für wen diese wünschenswert sind und noch weniger darüber, anhand welcher Kriterien darüber geurteilt werden kann.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist die Bioökonomie vor allem eines – ein Demokratieprojekt. Will sie zukunftsfähig sein, muss sie den Geboten von effektiver Problemlösung und demokratischer Legitimität gleichermaßen gerecht werden. Bioökonomische Lösungen stützen sich heute insbesondere auf das Wissen von Expertinnen und Experten und bergen dabei – zumindest potenziell – die Gefahr, die gesamtgesellschaftliche demokratische Rückbindung zu verlieren. Zu Recht betonen die strategischen Ziele der Nationalen Bioökonomiestrategie die Notwendigkeit die Gesellschaft einzubinden. Allerdings braucht die demokratische Rückbindung der Bioökonomie mehr als gesellschaftliche Akzeptanz und forschungsbegleitende Teilhabe.

Köpfe des Wandels

Dr. Sandra Schwindenhammer ist Politikwissenschaftlerin und Projektleiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist stellvertretende Verbundkoordinatorin des „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortiums SUSKULT, Ko-Projektleiterin des Projekts TANNRE und Sprecherin des Arbeitskreises „Umweltpolitik und Global Change“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

Drei Kriterien für die normative Bewertung bioökonomischer Lösungen

Jede bioökonomische Lösung muss sich an zumindest drei zentralen demokratietheoretischen Maßstäben messen lassen:

1.) Im öffentlichen Interesse liegende Anliegen müssen verlässlich aufgegriffen werden (Responsivität).

2.) Betroffene sowie sonstige Bürgerinnen und Bürger müssen effektiv Einfluss nehmen und am Regelsetzungsprozess teilhaben können (Selbstbestimmung).

3.) Der politische Prozess muss Transparenz-, Überwachungs- und Kontrollmechanismen bereitstellen, durch die Akteure der Bioökonomie kontrolliert und ggfs. zur Rechenschaft gezogen werden können (Rechenschaftspflichtigkeit).

Legitimierungsbedarf als kontextabhängige Größe

Der Legitimierungsbedarf bioökonomischer Lösungen ist eine kontextabhängige Größe. Je nach thematischer Ausrichtung, Reichweite, Dauerhaftigkeit und Wirkung einer bioökonomischen Lösung werden unterschiedliche Legitimierungsquellen verschieden stark benötigt. Thematisch begrenzte und temporär wie räumlich beschränkte Lösungen, wie die Begrünung von Gebäuden in Städten, sind weniger legitimierungsbedürftig. Demgegenüber erfordern sektorenübergreifende, großräumige und dauerhafte Lösungen mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen breitere Legitimation. Visionen für Agrarsysteme der Zukunft bspw. erzeugen neue Verknüpfungen zwischen den Sektoren Landwirtschaft, Energie, Verkehr sowie Wasser und Abwasser und rufen tiefgreifenden Wandel hervor.

Die Bioökonomie verfügt aus sich heraus bereits über vielfältige Legitimierungsquellen und ermöglicht ganz neue Rollen- und Aufgabenverteilungen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Beispielhaft stehen vordenkende kommunale Entsorgungs- und Abwasserverbände, die ihr technisches Knowhow bereits für die Rückgewinnung von Ressourcen in bioökonomische Prozesse einbringen. Für die Zukunft gilt es diejenigen Legitimationsquellen weiter zu mobilisieren, über welche die Bioökonomie selbst verfügt. In Zeiten des Anstiegs anti-demokratischer Haltungen ist es zudem entscheidend, die Bioökonomie ordnungspolitisch so zu begleiten, dass ermöglichend, korrigierend oder vorbeugend dort eingewirkt werden kann, wo Gemeinwohlziele verfehlt werden. Packen wir es an!

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​