Extremophile zur Biologisierung der Industrie - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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25.11.2020

Extremophile zur Biologisierung der Industrie

Kurz & Knapp
  • Extreme Lebensräume wie Vulkangebiete sind eine Quelle von mikrobiellen Gemeinschaften sowie Biokatalysatoren mit ungewöhnlichen Eigenschaften.
  • Durch die rasante Entwicklung der Bioinformatik und Robotik können maßgeschneiderte robuste biologische Prozesse für die chemische und pharmazeutische Industrie entwickelt werden.
  • Die Entwicklung neuartiger biologischer Systeme führt zur effizienten und nachhaltigen Nutzung der Ressourcen unseres Planeten und zur Biologisierung der Industrie.

Entdeckung extremophiler Mikroorganismen

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Garabed Antranikian, Institut für Technische Mikrobiologie, Technische Universität Hamburg

Extremophile sind Organismen, die unter Bedingungen gedeihen, die als menschenfeindlich gelten. Solche Umgebungen, Habitate, umfassen heiße Quellen mit Temperaturen nahe dem Siedepunkt von Wasser oder der Tiefsee, wo niedrige Temperaturen mit hohem Wasserdruck verbunden sind. „Extreme“ Bedingungen beziehen sich auch auf extreme pH-Bedingungen sowie den Salzgehalt. Somit können robuste Biokatalysatoren (Enzyme) und Mikroorganismen mit einzigartigen und außergewöhnlichen Eigenschaften, wie Aktivitäten bis zu 130 °C und einem extrem sauren pH-Wert bei 0, für die Anwendung in nachhaltigen Bioprozessen effizient eingesetzt werden. Aktuelle bioinformatische Ansätze (Genomics und Metagenomics) sowie Hochdurchsatz-Screening-Ansätze (Robotics) werden für intelligente Screening-Strategien zur Entdeckung und Identifizierung neuartiger industrieller Enzyme genutzt.

Der Übergang zu einer nachhaltigen biobasierten Kreislaufwirtschaft „Circular Bioeconomy“ erfordert Spitzentechnologien, die mit umweltbewusstem Handeln wirtschaftliches Wachstum sicherstellen. Der Übergang von einem fossilen zu einem biologischen Prozess wird nur möglich sein, wenn auch die Möglichkeiten der Ansätze zur Entdeckung und Nutzung der mikrobiellen Vielfalt unseres Planeten aus den beschriebenen extremen Habitaten genutzt wird.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Garabed Antranikian studierte Biologie an der amerikanischen Universität in Beirut, promovierte an der Universität Göttingen, habilitierte sich 1988 auf dem Gebiet der Mikrobiologie, Arbeitsgruppe Prof. Gerhard Gottschalk. Seit 1990 leitet er das Institut für Technische Mikrobiologie der Technischen Universität Hamburg. Schwerpunkt seiner Arbeiten sind extremophile Mikroorganismen und deren technische Nutzung. Er erhielt den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Jahre 2004 und war Präsident der TUHH von 2011 bis 2018.

Einsatz von robusten katalytischen Prozessen

Die Bereitstellung von ungewöhnlichen biologischen Systemen wird zur Lösung der globalen Herausforderungen beitragen, zu denen die Nutzung natürlicher Ressourcen, die Nahrungsmittelversorgung, die Gesundheit, die Energie und die Umwelt gehören. Unter extremen Bedingungen überlebende Mikroorganismen stellen eine biotechnologische Schatztruhe für effiziente Bioprozesse dar. Indem diese ein großes Portfolio einzigartiger Biokatalysatoren (Extremozyme) herstellen, die bei extremen Temperaturen, pH-Werten, hohem Salzgehalt und Lösungsmittelkonzentrationen aktiv sind. Somit kann Biomasse, z.B. Pflanzen, effektiv enzymatisch in hochwertige Produkte wie Grundchemikalien, Biomaterialien, Pharmazeutika, Lebensmittel, Futtermittel und Biokraftstoffe umgewandelt werden, was zur Entwicklung einer umweltfreundlicheren biobasierten Industrie führt.

Kohlenhydrat-abbauende Enzyme können für die Herstellung von Biokraftstoffen und Chemikalien bei hohen Temperaturen sehr interessant sein. Biokraftstoffe der zweiten Generation werden in Bioraffinerien unter Verwendung von lignocellulosehaltigen Materialien, wie land- oder forstwirtschaftlichen Rückständen, hergestellt. Eine Vorbehandlung der Biomasse ist aufgrund der komplexen Struktur der Pflanzenzellwände erforderlich, die die Polysaccharide (Kohlenhydrate/Vielfachzucker) für die enzymatische Wirkung zugänglich macht. Die Nutzung einer Wärmevorbehandlung bietet dabei den Vorteil, dass hitzeaktive Enzyme zum gleichzeitigen Abbau verfügbarer Polymere eingesetzt werden können. Ein weiteres bekanntes Beispiel für hitzeaktive Enzyme ist die DNA-Polymerase, die in Laboratorien zum Kopieren und Vervielfältigen von DNA durch Polymerasekettenreaktion (PCR) verwendet wird wie z.B. zur Diagnose von Erbkrankheiten. Die Entdeckung dieses Extremozyms hat die Entwicklung der Lebenswissenschaften enorm beschleunigt.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​