Kleine Überlebenskünstler mit besonderem Potential - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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24.07.2020

Kleine Überlebenskünstler mit besonderem Potential

Kurz & Knapp
  • Archaeen (früher auch Archae- oder Urbakterien genannt) besitzen neue Stoffwechselwege mit besonderen Enzymen (Eiweißen), die als Biokatalysatoren genutzt werden können.
  • Diese Organismen bzw. ihre Enzyme sind an extreme Wachstumsbedingungen angepasst und zeichnen sich durch ihre besondere Robustheit aus.
  • Archaeen bieten ein großes, bislang weitgehend ungenutztes Potential für die Biotechnologie.

Kleine Überlebenskünstler mit besonderem Potential

Ein Beitrag von Bettina Siebers, Molekulare Enzymtechnologie und Biochemie, Universität Duisburg-Essen

Die Herausforderung

Die Verarmung an fossilen Ressourcen und die Produktion von Treibhausgasen verstärkt die Suche nach alternativen, biobasierten Ansätzen in der industriellen Ökonomie, der sogenannten „Bioökonomie“. Hier spielt die Biotechnologie mit der Nutzung erneuerbarer „nachwachsender“ Rohstoffe und der Entwicklung neuer, nachhaltiger Produkte sowie Produktionsverfahren eine zentrale Rolle.

Mikrobielle Diversität nutzen

Durch die gängigen biotechnologischen Plattformorganismen wie z. B. Hefe, Bacillus subtilis, Corynebacterium glutamicum oder Escherichia coli wird nur ein sehr geringer Teil der Organismen, also der natürlichen mikrobiellen Diversität, und damit auch der natürlichen Stoffwechselvielfalt genutzt. Daher ist die Suche nach neuen mikrobiellen Plattformorganismen, sog. „Biofabriken“, und nach neuen Enzymen für die Biotechnologie von besonderem Interesse.

Archaeen sind besondere Überlebenskünstler

Archaeen stellen eine besondere Entwicklungslinie neben den Bakterien und Eukaryoten dar. Die derzeit kultivierbaren Vertreter sind an extreme, unwirtliche Lebensräume angepasst und werden deswegen auch als Extremophile bezeichnet. Sie besiedeln unter anderem heiße Schwefelquellen und Geysire (heiße Quelle, die ihr Wasser als Fontäne ausstößt) in Thermalgebieten, die Schwarzen Raucher am Meeresgrund oder sind in Salzseen zu finden.

Köpfe des Wandels

Bettina Siebers ist Professorin an der Universität Duisburg-Essen und leitet den Arbeitskreis Molekulare Enzymtechnologie und Biochemie im Bereich Umweltmikrobiologie und Biotechnologie. Ihr Forschungsinteresse ist der Stoffwechsel (hyper)thermophiler Archaeen und damit eng verbunden die Nutzbarmachung dieser Überlebenskünstler sowie ihrer Extremozyme in der Biotechnologie.

Was zeichnet Archaeen für den Einsatz in der Biotechnologie aus?

Archaeen besitzen ähnlich wie Bakterien, Algen oder Pilze einen komplexen Stoffwechsel, der sich allerdings durch zahlreiche neue Enzyme und Stoffwechselwege auszeichnet. Insbesondere hitzeliebende – sogenannte thermophile oder hyperthermophile - Archaeen, die bei über 60°C bzw. über 80°C gedeihen, heben sich durch ihre besondere Robustheit heraus. Ihre Enzyme, sogenannte „Extremozyme“, sind besonders stabil und bei hohen Temperaturen und oftmals sogar in organischen Lösungsmitteln aktiv.

Sie mögen es heiß und sauer

Vertreter der Gattung Sulfolobus sind an zwei Extreme angepasst: Sie mögen es heiß und sauer. Sie wachsen bei Temperaturen um 80°C und einem pH-Wert von 2-3, ähnlich dem von Zitronensaft. Als Plattformorganismus bietet sich insbesondere Sulfolobus acidocaldarius an. Er ist genetisch stabil, gentechnologisch zugänglich und kann einfach in Gegenwart von Sauerstoff kultiviert werden, wobei hohe Zelldichten erreicht werden.

Dieser robuste Lebensstil bietet zahlreiche Vorteile für die Anwendung: So ist beispielsweise die Löslichkeit und Zugänglichkeit vieler komplexer Substrate unter diesen Wachstumsbedingungen erhöht. Bei der Biomasseumwandlung von Holzabfällen ist daher eine aufwendige Vorbehandlung durch Hitze und Säure nicht notwendig. Viele Produkte, wie etwa Ethanol bei der Bioalkoholproduktion, die bereits in niedrigen Konzentrationen das Wachstum der Organismen hemmen, können bei hohen Temperaturen leicht abgetrennt werden. Zudem können unerwünschte Kontaminationen (Verunreinigungen durch andere Organismen) während der Kultivierung ausgeschlossen und so der Einsatz von Antibiotika vermieden werden.

Neue Wege in der Biotechnologie

Die besondere Robustheit der Archaeen, ihre neuartige Stoffwechselvielfalt und die ungewöhnlichen, stabilen Biokatalysatoren bergen ein besonderes Potential, das für die Entwicklung effizienter, nachhaltiger Produktions- und Prozessverfahren eingesetzt werden kann.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​