Mit genetischer Vielfalt und modernen Methoden - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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17.02.2021

Mit genetischer Vielfalt und modernen Methoden

Kurz & Knapp
  • Europäische Lebensmittel sind bekannt dafür, dass sie sicher, nahrhaft und qualitativ hochwertig sind. Unter dem Dach des ‚Green Deal‘ der EU sollen sie nun auch einen weltweiten Standard für Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelerzeugung und klimabewussten Konsum setzen.
  • Dazu sollen im Agrarsektor der Einsatz chemischer Pestizide und Düngemittel sowie der Ausstoß von Treibhausgas-Emissionen deutlich reduziert werden und der Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen steigen. Die Pläne zeigen eindeutige und notwendige Handlungsfelder für ein zukunftsfähiges Wirtschaften auf; gleichzeitig formulieren sie neue Aufgaben an die Landwirtschaft, die sich ohnehin bereits in einem komplexen Anforderungsumfeld befindet. Landwirte benötigen also innovative Lösungen.
  • Eine Branche, die dabei einen wichtigen Beitrag leisten kann und muss, ist die Pflanzenzüchtung – unter anderem, in dem sie sich die enorm breite Vielfalt pflanzengenetischer Ressourcen zu Nutze macht.

Wie Pflanzenzüchtung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beiträgt

Ein Beitrag von Dr. Viktor Korzun, KWS SAAT SE & Co. KGaA

Produktrisiken minimieren: Verbesserter Schutz vor Mutterkorn im Roggenanbau

Eine potenzielle Gefahr beim Verzehr von Getreideprodukten ist das sogenannte Mutterkorn, einem Pilz, der eine längliche, kornähnliche Dauerform (Sklerotien) bildet. Diese enthalten Alkaloide, die bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte Mensch und Tier schädigen können. Die Eingangspforte für die Mutterkornsporen sind offene Ährchen während der Blüte. Eine schnelle Schließung der Ährchen bedingt durch eine rasche Bestäubung ist der effektivste Mechanismus zur Mutterkornabwehr. Deshalb wird das Mutterkorn vorwiegend durch mangelnde Pollenverfügbarkeit und nasse Wetterbedingungen in der Blütezeit begünstigt. Der Roggen ist als Fremdbefruchter stärker davon betroffen als andere, selbstbefruchtende Getreidearten. Zur Bekämpfung des Pilzes müssen Landwirte vor allem eine möglichst kurze und gleichmäßige Blüte fördern und auf verschiedene pflanzenbauliche Maßnahmen setzen. Ein entscheidender Faktor ist zudem die Auswahl der Saatgutsorte.

In Kooperation mit Forschern der Universität Hohenheim, des IPK und des JKI konnten Züchter des Saatgutherstellers KWS die Anfälligkeit für Mutterkorn bei neuen Roggensorten deutlich reduzieren. Im Fokus steht dabei das Pollen fertility restoration gene Rfp1, das aus einer alten iranischen Roggen-Landrasse stammt. Dieses Gen bewirkt, dass die Pflanze deutlich mehr Pollen abgibt. Damit wird die Bestäubung verbessert, die Blütezeit verkürzt und der Schutz gegen Mutterkorn verbessert (PollenPlus).

Köpfe des Wandels

Dr. Viktor Korzun verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Anwendung molekularer Marker bei Getreidepflanzen. Bis 2018 war er Leiter Getreide Biotechnologie und seit 2018 ist er Global Lead Scientific Affairs bei KWS SAAT SE & Co. KGaA in Einbeck. Dr. Viktor Korzun ist Co-Autor von mehr als 160 wissenschaftlichen Artikeln und Beiträgen.

Erträge sichern, Ressourcen schonen: Entwicklung einer verbesserten Toleranz von Zuckerrübensorten gegenüber der Blattkrankheit Cercospora beticola

Die Zuckerrübe ist eine bedeutende Kulturart in der europäischen Landwirtschaft: Sie trägt zur regionalen Zuckerversorgung bei und bildet ein wichtiges Element innerhalb einer ausgewogenen Fruchtfolge. Cercospora beticola ist eine der weltweit schädlichsten Krankheiten bei Zuckerrüben. Es kann zu Ertragsverlusten von bis zu 50 % kommen. Zwar gibt es bereits heute Sorten, die einen gewissen Schutz bieten, dem stehen jedoch Ertragseinbußen gegenüber. Zudem können Landwirte zur Bekämpfung der Krankheit auf Fungizide zurückgreifen. Diese Option wird jedoch durch die Bildung von Resistenzen gegenüber Pflanzenschutzmitteln sowie regulatorische Vorgaben zunehmend eingeschränkt.

KWS Züchtern ist es nun gelungen, neue Sorten mit einer Cercospora-Toleranz bei zugleich hoher Ertragsleistung zu entwickeln. Dafür greifen sie auf eine in der Wildrübe (Beta vulgaris ssp. maritima) entdeckte, sehr hohe Cercospora-Toleranz zurück. Aufgrund der engen Verwandtschaft beider Arten konnte die gewünschte Eigenschaft der Wildrübe mittels herkömmlicher, klassischer Züchtungsmethoden direkt in das Material der Zuckerrübenzüchtung eingekreuzt werden. Die neuen Sorten ermöglichen es, das Toleranzniveau weiter zu steigern, mit hohem Ertrag zu kombinieren und Fungizide einzusparen.

Neue Züchtungsmethoden als Beitrag zur Ressourcenschonung und Produktsicherheit

Diese Beispiele zeigen, wie die Vielfalt der Pflanzengenetik genutzt werden kann, um verbesserte Saatgutsorten zu entwickeln. Dabei greifen Pflanzenzüchter in ihrer Arbeit auf einen Baukasten unterschiedlicher Züchtungstechnologien zurück, der sich stetig weiterentwickelt. Eine sinnvolle Ergänzung bieten neue Züchtungstechnologien; Hierzu zählt beispielsweise die ‚Genschere‘ CRISPR/Cas, für dessen Entdeckung die Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanulle Charpentier im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet wurden. Mit ihrer Einfachheit und Stabilität in der Anwendung ermöglichen diese Methoden es, neue Lösungen, die in Anbetracht klimatischer Veränderungen und agrarpolitischer Rahmenbedingungen dringlich benötigt werden, schneller und präziser zu entwickeln. Aufgrund der derzeitigen Regulierung dieser Züchtungsmethoden in der EU ist ihre Anwendung jedoch faktisch nicht möglich. Es braucht daher einen zukunftsfähigen Rechtsrahmen, der den wissenschaftlichen Fortschritt berücksichtigt und neu bewertet.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​

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