Phototrophe Biofilme – Biofabriken der Zukunft? - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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29.06.2020

Phototrophe Biofilme – Biofabriken der Zukunft?

Kurz & Knapp
  • Mikroalgen binden bereits jetzt etwa 30 % des atmosphärischen CO2 über die Photosynthese und tragen damit zur Verminderung von Treibhausgasen bei – zeitgleich produzieren sie Sauerstoff und können als Nahrungsergänzungsmittel verzehrt werden.
  • Auf Oberflächen wachsende Mikroalgen, sogenannte „phototrophe Biofilme“, sind sehr widerstandsfähig, was ihre Züchtung erleichtert.
  • Um optimal wachsen zu können, benötigen phototrophe Biofilme Züchtungsanlagen, die den natürlichen Lebensraum nachbilden.

Phototrophe Biofilme – Biofabriken der Zukunft?

Ein Beitrag von Dr.-Ing. Dorina Strieth und Prof. Dr. Roland Ulber, Lehrgebiet Bioverfahrenstechnik, TU Kaiserslautern

Das Treibhausgas CO2 nutzen und damit ressourcenschonend hochwertige Produkte für Lebensmittel, Kosmetik und Heilmittel herstellen? Mit Hilfe von Biofilmen, die aus Mikroalgen, Cyanobakterien und Pilzen bestehen, kann man diesem Ziel näherkommen. Mit dem Sammelbegriff „Mikroalgen“ werden alle mikroskopisch kleinen Mikroorganismen zusammengefasst, die Licht als Energiequelle nutzen, um aus CO2 Sauerstoff und Zucker zu produzieren, also Photosynthese betreiben. Mikroalgen können z. B. nach aktuellen Hochrechnungen bereits jetzt etwa 30 % des atmosphärischen CO2 über die Photosynthese binden. Vereinfacht bedeutet dies, dass CO2 gebunden und Nahrung hergestellt wird.

 

Köpfe des Wandels

Frau Dr.-Ing. Strieth hat 2013 ihr Studium der Biowissenschaften abgeschlossen und ihre akademische Ausbildung um eine Promotion an der TU Kaiserslautern (TUK) im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik ergänzt. Zurzeit arbeitet sie als Gruppenleiterin am Lehrgebiet Bioverfahrenstechnik der TUK und beschäftigt sich vor allem mit phototrophen Systemen.

Prof. Dr. Roland Ulber hat an der Leibniz Universität Hannover Chemie studiert und im Bereich Technische Chemie promoviert und habilitiert. Seit 2004 leitet er das Lehrgebiet Bioverfahrenstechnik an der TUK.

Cyanobakterien, wie der Organismus „Spirulina“, dienen bereits heute als Nahrungsergänzungsmittel und wurden schon von den Azteken vor hunderten von Jahren gezielt gezüchtet. Sie können ebenso als unabhängige Düngerproduzententen eingesetzt werden. Die in den Zellen enthaltenen Pigmente werden bereits als natürliche Farbstoffe (Carotinoide (orange), Phycocyanin (blau)) in der Lebensmittelindustrie verwendet und antimikrobielle Verbindungen können die Grundlage für neue Heilmittel sein. Terrestrische (auf Oberflächen wachsende) Cyanobakterien wachsen auf Oberflächen und bilden einen sogenannten „phototrophen Biofilm“ aus. Phototrophe Biofilme sind eine Oberflächen-besiedelnde Gemeinschaft verschiedener Mikroorganismen, die durch Lichtenergie angetrieben wird und in einer selbst produzierten Schleimhülle lebt. Diese Hülle hält den Biofilm zusammen und schützt ihn vor verschiedenen Umweltfaktoren wie Austrocknung oder Fraßfeinden.

Der Mensch hat in Bezug auf Biofilme meist negative Gedankengänge, da sie z. B. im Aquarium an Glaswänden haften oder auf Hauswänden unschöne Verfärbungen verursachen. Biofilme werden somit als schädlich angesehen und oftmals bekämpft. Biofilmforscherinnen und -forscher sehen das anders, denn Biofilme passen sich schnell an neue und vor allem auch extreme Bedingungen an, sind abgehärtet und schwer abzutöten. Das sind genau die Eigenschaften, die für eine erfolgreiche Züchtung (Kultivierung) unter schwierigen Umweltbedingungen von Vorteil sind.

Kultivierung von phototrophen Biofilmen

Biofilme lassen sich nicht bzw. schlecht in submersen Reaktoren (= Behälter zur Kultivierung von Mikroorganismen; submers = in Lösung) züchten. Die an der TU Kaiserslautern entwickelten „Nebelreaktoren“ versorgen den Biofilm mit CO2 , verschiedenen Spurenelementen und Wasser in Form eines Nährstoffnebels. So können im Reaktor die natürlichen Bedingungen der Wüste (wenig Nebel) und des Regenwaldes (viel Nebel) nachgeahmt werden. Die Züchtung phototropher Biofilme zeigte, dass die Biomasseproduktion in diesen Systemen deutlich höher ist als herkömmlichen Reaktoren. Außerdem werden im Vergleich zu submersen Reaktorsystemen Wasser, Nährstoffe und Energie eingespart, da diese gezielt als Nebel in den Reaktor eingeleitet werden.

Der Einsatz von phototrophen Biofilmen in der Biotechnologie könnte also eine innovative Lösung sein, um der wachsenden Nachfrage nach natürlichen Produkten, bei geringem Ressourcenverbrauch und zeitgleicher CO2 -Fixierung über die Photosynthese, gerecht zu werden. 
Möglicherweise ernährt sich der Mensch in Zukunft von verschiedenen Produkten, gewonnen aus phototrophen Biofilmen, die regional, ökologisch und nachhaltig in Biofilmreaktoren produziert wurden.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​