Proteine statt Plastik – neue Materialien erobern den Markt - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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27.05.2020

Proteine statt Plastik – neue Materialien erobern den Markt

Kurz & Knapp
  • Seit Jahrzehnten beherrschen Plastikprodukte wegen ihrer kostengünstigen Herstellung und den gewohnten Verhaltensweisen der VerbraucherInnen den Markt, schädigen dabei aber die Umwelt.
  • Zur Rettung der Umwelt müssen neue Materialien entwickelt werden, doch es fehlte bisher an geeigneten Alternativen.
  • Neuartige Produkte, die bereits heute auf Basis von Mikroorganismen hergestellt und vermarktet werden, vereinbaren erstmals hohe Qualität und gute Performance mit der dringend notwendigen Umweltverträglichkeit.

Neue, plastikfreie Materialien für eine bessere, lebenswerte Zukunft

Ein Beitrag von Dr. Lin Römer, Geschäftsführer AMSilk GmbH

Produkte aus Proteinen sind schon bald für viele Bereiche des täglichen Lebens verfügbar. WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung und Produktion proteinbasierter Materialien, die unsere hohen Ansprüche an Qualität und Performance erfüllen, aber gleichzeitig unsere Umwelt nicht belasten, da sie aus nachhaltigen Rohstoffen hergestellt werden und nach Ende ihrer Nutzung vollständig biologisch abbaubar sind.

Köpfe des Wandels

Dr. Römer studierte Chemie an der Universität Marburg und wechselte dann zur Promotion im Bereich Proteinfaltung an die Technische Universität (TU) München. 2008 war er an der Gründung der AMSilk GmbH beteiligt und verantwortet dort heute als Geschäftsführer unter anderem die technische Entwicklung und Herstellung von Seidenproteinen.

Plastikprodukte sind allgegenwärtig

Unzählige Produkte, die wir am Körper tragen oder die wir in unseren Haushalten benötigen, werden aus Erdöl hergestellt. Erdöl ist als fossiler Brennstoff der zentrale Grundstoff der chemischen Industrie und wird massenweise in unterschiedlichsten Plastikprodukten verarbeitet. Ein Blick auf den Textilmarkt macht dies besonders deutlich und auch anschaulich. Neben Produkten wie Wolle oder Baumwolle, die aus natürlichen Ressourcen bestehen, werden vor allem Stoffe für Funktionsbekleidung im Outdoor- oder im Sportbereich zumeist aus Polyester, Nylon, oder anderen Plastikfasern hergestellt. Diese Materialien haben oft gute mechanische Eigenschaften, sind langlebig und leicht zu verarbeiten, aber vor allem sind sie billig und in sehr großen Mengen herstellbar.

Der für unsere Umwelt entscheidende Nachteil solcher Materialien liegt aber darin, dass diese in den allermeisten Fällen weder aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden noch biologisch abbaubar sind. Somit landen alle diese Produkte früher oder später auf Mülldeponien oder werden verbrannt. Besonders problematisch ist es, dass große Mengen an Plastik auch in die Ozeane gelangen, dort zu Mikroplastik zerfallen und über Meerestiere dann auch in unser Essen gelangen.

Was sind die Alternativen?

Wenn viele, im besten Fall alle auf Plastikprodukte verzichten würden, hätten wir dieses Problem nicht. Doch dieser Ansatz ist kaum umsetzbar. Menschen wollen und kaufen gute Produkte. Und fast alle Performanceprodukte wie Sportschuhe oder Outdoorkleidung waren und sind bisher nur mithilfe erdölbasierter Materialien herstellbar. Ein Wechsel auf Naturprodukte wie Baumwolle, Wolle, Hanf oder traditionelle Seide ist dabei keine realistische Option. Neben der fehlenden Performance sind solche Produkte auch sehr schlecht skalierbar, weil die traditionellen Herstellungsverfahren mengenmäßig heute schon weitgehend ausgereizt sind.

Mikroorganismen als Produktionsmittel

Wir und vor allem unsere Umwelt brauchen also neue Materialien, die mehrere Bedingungen erfüllen müssen: Hohe Qualität und eine gute Performance der Produkte ist dabei ebenso wichtig wie die Herstellung aus nachwachsenden Rohstoffen, die notwendige industrielle Skalierbarkeit sowie die Sicherheit, dass diese Produkte dann auch umweltfreundlich entsorgt bzw. recycelt werden können. Hier kommen die mikrobiellen Produktionsverfahren ins Spiel. Mit Hilfe von Bakterien oder Pilzen werden bereits heute viele Produkte des täglichen Lebens hergestellt, wie beispielsweise Vitamine oder Waschmittel. Relativ neu ist, dass solche Verfahren eben auch geeignet sind, um Fasern oder andere Materialien herzustellen.

Produkte aus Proteinen

Warum vertrauen wir Menschen so sehr auf fossile Brennstoffe, wenn die Natur uns doch vormacht, wie wir es besser machen können? Unsere Haut oder auch der Seidenfaden einer Spinne bestehen aus natürlichen Proteinen, also Eiweißmolekülen. Proteine sind das Standardmaterial der Evolution, auch für komplexeste Aufgaben. Seit kurzem kann das Wissen über diese Materialien auch technisch genutzt werden.

Ein vielversprechendes und zukunftsfestes Beispiel sind Materialien aus Seidenproteinen – allerdings nicht von Spinnen hergestellt, sondern in Bioreaktoren mit Hilfe von Bakterien. Erste Produkte, die auf diesen Seidenfasern basieren, sind bereits heute zu kaufen – weitere Produkte stehen kurz vor der Markteinführung. Die Herstellung erfolgt auf Basis nachwachsender Rohstoffe und ist industriell sehr gut skalierbar. Diese Produkte sind von ihren mechanischen Eigenschaften vergleichbar mit synthetischen Produkten, aber gleichzeitig wesentlich hautfreundlicher und im Gegensatz zu nahezu allen Materialien aus Plastik auch vollständig biologisch abbaubar. Das macht sie so besonders umweltfreundlich.

Die Produktion für sehr große industrielle Mengen befindet sich derzeit im Aufbau. Schon bald werden wir also viele Produkte mit Materialien aus Mikroben in unserem täglichen Leben wiederfinden und können konsumieren, ohne unserer Umwelt und uns die notwendigen Lebensgrundlagen zu entziehen. Die Natur macht es uns vor und zeigt uns, wie es besser gehen kann – wir müssen ihr jetzt nur noch folgen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​