Umstrittene Nachhaltigkeit in internationalen Institutionen - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

Springe zu:

Springe zum Inhalt

22.01.2021

Umstrittene Nachhaltigkeit in internationalen Institutionen

Kurz & Knapp
  • Zwischen einzelnen Nachhaltigkeitszielen bestehen derzeit noch große Zielkonflikte.
  • Internationale Institutionen können aufgrund ihrer funktionalen Eigenlogiken diese Zielkonflikte aktuell nur ansatzweise bearbeiten.
  • Daher sind inter-institutionelle Arrangements erforderlich, innerhalb derer Zielkonflikte durch Informationsaustausch, Diskurs und Einbeziehung von Regierungen, NGOs und transnationalen Unternehmen besser bearbeitet werden können.

Umstrittene Nachhaltigkeit in internationalen Institutionen

Ein Beitrag von Prof. Dr. Helmut Breitmeier, Justus-Liebig-Universität Gießen und Dr. Sandra Schwindenhammer, Justus-Liebig-Universität Gießen

Die im Jahr 2015 beschlossene Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen ist der Versuch, klassische Entwicklungsziele, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz weltweit in Einklang zu bringen. Für die Umsetzung der 17 globalen Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) ist in einzelnen Politikfeldern auch die Transformation der grundlegenden Ziele internationaler Institutionen erforderlich. Allerdings entwickelt sich die Integration ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit in die Zielsetzungen einzelner internationaler Institutionen bisher nur langsam.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Helmut Breitmeier ist seit 2013 Professor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von 2008 bis 2013 war er Professor für Internationale Beziehungen an der FernUniversität in Hagen. Er ist Ko-Projektleiter des Projekts TANNRE und Mitglied im Vorstand des Zentrums für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) an der JLU Gießen.

Dr. Sandra Schwindenhammer ist Politikwissenschaftlerin und Projektleiterin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist stellvertretende Verbundkoordinatorin des „Agrarsysteme der Zukunft“-Konsortiums SUSKULT, Ko-Projektleiterin des Projekts TANNRE und Sprecherin des Arbeitskreises „Umweltpolitik und Global Change“ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.

Nachhaltigkeit und Zielkonflikte in internationalen Organisationen

Die traditionellen Zielsetzungen und funktionalen Eigenlogiken internationaler Organisationen erschweren die Entwicklung eines umfassenden Nachhaltigkeitsverständnisses. In den internationalen Institutionen zur Bearbeitung des Themas Ernährung ist erst ein zaghaftes Einsickern des Nachhaltigkeitsdiskurses in traditionelle internationale Organisationen wie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), die Welthandelsorganisation (WTO) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu beobachten. Die breite Definition des Nachhaltigkeitsziels für Ernährung (SDG 2) umfasst nicht nur die Beendigung des Hungers, sondern auch die qualitative Verbesserung der Ernährung und die nachhaltige Landwirtschaft. Damit verbundene Zielkonflikte können in einzelnen internationalen Organisationen (auch und gerade bei steigender Weltbevölkerung) derzeit nur schwer gelöst werden.

Eigene Forschungsbefunde belegen, dass diese internationalen Organisationen jeweils spezifische Food-Konzepte bevorzugen. Das in der globalen Ernährungspolitik dominierende Konzept der „Ernährungssicherheit“ zielt vor allem auf die Bereitstellung von Nahrungsmitteln ab und tendiert dazu, die mit einer Steigerung landwirtschaftlicher Produktion verbundenen ökologischen und sozialen Wirkungen zu vernachlässigen. Das Konzept der „Lebensmittelsicherheit“ konzentriert sich auf die Produktion gesundheitlich sicherer Nahrungsmittel.

Das besonders von NGOs bevorzugte Konzept der „Ernährungssouveränität“ fordert eine weitreichende Umverteilung von Land- und Agrarflächen zugunsten von Kleinbauern, die Berücksichtigung von deren Interessen bei der Vermarktung und betont die Bedeutung von Selbstversorgung und lokalen und regionalen Produzenten für die Ernährungssicherheit.

Die Verknüpfung globaler Ernährungspolitik mit anderen Nachhaltigkeitsproblemen

Die funktionale Eigenlogik internationaler Organisationen und der jeweilige Fokus auf spezifische Themenbereiche und Aufgaben (z.B. liberaler Handel bei der WTO oder Ernährungssicherheit bei der FAO) verhindern derzeit die Entwicklung eines umfassenden Nachhaltigkeitsverständnisses innerhalb und zwischen diesen Institutionen. Funktionale Eigenlogiken tragen auch dazu bei, dass Zielkonflikte zwischen dem SDG 2 mit anderen SDGs fortbestehen und nur schwer aufgelöst werden können. Der „Food-Water-Energy-Nexus“ beschreibt zum Beispiel die zwischen einzelnen Themenbereichen bestehenden Verknüpfungen und Rückkopplungseffekte.

Der Bau von Staudämmen zur Energieerzeugung kann einerseits zur besseren Bewässerung von Ernteflächen innerhalb eines Lands führen; andererseits kann für das Nachbarland (Unterlieger) dadurch aber auch eine Verknappung des Wassers verursacht werden (mit weitreichenden negativen Folgen für die Landwirtschaft). Für eine bessere Beachtung und Bearbeitung solcher Zielkonflikte bieten sich vor allem inter-institutionelle Arrangements an, in denen internationale Organisationen, Regierungen, NGOs und Unternehmen zukunftsfähige Lösungen zur Überwindung von Nexus-Problemen entwickeln und ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit suchen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​

Weitere Informationen

Dieser Beitrag basiert auf den Ergebnissen des vom BMBF geförderten Projekts „Das Transformationspotenzial inter-institutioneller Arrangements und die Norm der Nachhaltigkeit im globalen Regimekomplex für Ernährung“ (TANNRE, Förderkennzeichen 031B0229). Projektleitung: Prof. Dr. Helmut Breitmeier und Dr. Sandra Schwindenhammer. Projektteam: Andres Checa, Jakob B. Manderbach und Magdalena Tanzer.