Zur gesellschaftlichen Wahrnehmung der Bioökonomie - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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30.09.2020

Zur gesellschaftlichen Wahrnehmung der Bioökonomie

Kurz & Knapp
  • Die Bioökonomie stellt uns vor ein Dilemma: Kreislaufwirtschaft und die Nutzung erneuerbarer anstelle fossiler Ressourcen werden zum einen befürwortet.
  • Zum anderen ist den Deutschen bewusst, dass dies nicht zum Nulltarif zu haben ist, auch nicht zum ökologischen Nulltarif.
  • Eingriffe in den privaten Konsum werden nur von Minderheiten befürwortet, eine Änderung des eigenen Lebensstils ziehen nur wenige in Betracht.

Bioökonomie und globale Agrarproduktion

Ein Beitrag von Jürgen Hampel und Michael Zwick, Universität Stuttgart, Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie

Die „Bioökonomie“ verfolgt, vereinfacht ausgedrückt, das Ziel, unsere Wirtschaft stärker an ökologischen Kriterien auszurichten. Neben der Realisierung einer Kreislaufwirtschaft sollen vor allem nicht-erneuerbare durch nachhaltig erzeugte, regenerative Ressourcen ersetzt werden. Damit diese in ausreichender Menge erzeugt werden können, erfordert Bioökonomie eine Umgestaltung landwirtschaftlicher Produktionsprozesse mit dem Ziel, den Rohstoffbedarf möglichst umfassend decken zu können.

Im TechnikRadar 2020, einem Gemeinschaftsprojekt von acatech, der Körber Stiftung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart, wurde in einer bundesweiten Repräsentativbefragung mit 2000 Befragten untersucht, wie Bioökonomie in der deutschen Bevölkerung wahrgenommen wird. Wie bei der Wahrnehmung technischer Entwicklungen, etwa der Digitalisierung (TechnikRadar 2018, 2019) nicht untypisch, finden sich auch bei der Bioökonomie von tiefgreifender Ambivalenz geprägte Urteile in der Öffentlichkeit.

Die Ziele der Bioökonomie stoßen auf breite Zustimmung – ihr grundlegendes Prinzip, die Nutzung biogener anstelle von fossilen Ressourcen, wird nur von einer Minderheit kritisch gesehen, dagegen von 76% der Befragten bejaht. Gleichzeitig antizipiert das Gros der Befragten bei der Umsetzung bioökonomischer Anwendungen teilweise unerwünschte Nebenfolgen. Mehrheitlich wird beispielsweise erwartet, dass die Herstellung von Biokunststoffen zu weniger Problemen mit Plastikabfällen führen wird (59%), gleichzeitig befürchtet die Mehrzahl der Befragten, dass diese Form des Umweltschutzes durch nachteilige Auswirkungen auf die Natur erkauft werden könnte, wie etwa durch Monokulturen (63%), negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild (64%) oder einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft (51%). Darüber hinaus genießt die Vorstellung von unberührter Natur für die Deutschen eine große Bedeutung und Wertschätzung. Nur 11% der Befragten sind der Auffassung, dass wir das Recht haben, die Natur nach gesellschaftlichen Bedürfnissen umzugestalten.

Köpfe des Wandels

Dr. Jürgen Hampel ist Soziologe. Seine Forschungsarbeiten thematisieren Prozesse der Technikwahrnehmung und der Entstehung von Technikkonflikten.

Dr. Michael M. Zwick ist Soziologe mit den Arbeitsschwerpunkten Technik- und Umweltsoziologie, Risikoforschung sowie quantitative und qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung. Beide sind Mitarbeiter der Abteilung für Technik- und Umweltsoziologie am Institut für Sozialforschung der Universität Stuttgart.

Es ist weitgehend Konsens, dass unser Lebensstil wenig naturverträglich ist. Knapp drei Viertel (74%) vertreten die Auffassung, der Umweltschutz erfordere es, unseren Konsum einzuschränken. Unsere Konsum- und Wirtschaftsform wird auch vorrangig für den Welthunger verantwortlich gemacht, weniger die Bevölkerungsexplosion.

Weitgehende Übereinstimmung besteht auch zwar dahingehend, dass Deutschland auch in Zukunft eine starke Industrie braucht (78% Zustimmung). Zugleich plädieren die Deutschen aber mehrheitlich (59%) dafür, Maßnahmen für den Klimaschutz auch dann durchzusetzen, wenn darunter die Wirtschaft leidet und die Hälfte der Befragten (50%) vertritt die Auffassung, dass sich die Probleme der Zukunft nur dann lösen lassen, wenn die Politik der Wirtschaft enge Grenzen setzt. Weniger groß ist die Bereitschaft, den eigenen Lebensstil zu ändern. So ist der Anteil derer, die im Fleischkonsum ein Problem für die Sicherstellung der Welternährung sehen, deutlich größer (57%) als der Anteil derer, die tatsächlich auf Fleisch verzichten (7%). Höhere Steuern auf fossile Energieträger werden nur von gut einem Drittel der Befragten befürwortet (35%). Ebensoviele vertreten die Auffassung, der Staat solle die Menschen zu einem umweltgerechten Verhalten zwingen, (35%) und immerhin fast jeder Vierte (23%) ist der Meinung, ökologische Sachzwänge rechtfertigten tiefe Eingriffe in die Freiheitsrechte der Menschen.

In der deutschen Öffentlichkeit finden sich zwei unterschiedliche Einstellungsmuster. Verbreiteter ist ein Einstellungsprofil, das zwar die ökologischen Ziele der Bioökonomie unterstützt, aber Nebenfolgen und Zielkonflikte (Naturschutz, Wirtschaft, persönliche Freiheitsrechte) im Auge behält. Eine Minderheit von 20% bis 35% plädiert auf der anderen Seite für weitgehende Zwangsmaßnahmen zur Erreichung ökologischer Ziele. Dass eine demokratische Regierungsform am besten geeignet sei, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen, ist zwar Mehrheitsmeinung (56%), aber kein gesellschaftlicher Konsens, auch wenn nur 13% diese Einschätzung dezidiert ablehnen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​