Bioökonomie, der heilige Gral der nachhaltigen Entwicklung? - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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25.10.2021

Bioökonomie, der heilige Gral der nachhaltigen Entwicklung?

Kurz & Knapp
  • Bei der Bioökonomie handelt es sich um eine Reihe unterschiedlicher Sektoren, deren Potential für nachhaltige Entwicklung von Befürwortern gerne hervorgehoben wird.
  • Bioökonomisches Wachstum birgt aber auch immense Risiken für eine nachhaltige Landnutzung, die für jeden Einzelfall und im lokalen Kontext berücksichtig werden müssen.
  • Nur wenn diese Risiken und die Begrenztheit von natürlichen Ressourcen berücksichtigt werden, kann Bioökonomie einen positiven Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten.

Bioökonomie, der heilige Gral der nachhaltigen Entwicklung?

Ein Beitrag von Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger, Zentrum für Entwicklungsforschung, Universität Bonn

Die Transformation unseres Wirtschaftens im Sinne einer Bioökonomie wird häufig als ein vielversprechendes Modell für nachhaltige Entwicklung vorgeschlagen. Ob und unter welchen Bedingungen bioökonomisches Wachstum jedoch zu mehr Nachhaltigkeit beiträgt, ist umstritten und nicht immer ausreichend untersucht.

Köpfe des Wandels

Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger ist Professorin für Nachhaltige Entwicklung - Landnutzungskonflikte und Synergien am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. In ihrer Forschung beschäftigt Sie sich mit Mensch-Umwelt-Beziehungen und den Möglichkeiten zur Nachhaltigkeitstransformation mit einem Schwerpunkt auf den globalen Süden.

Bioökonomie, der heilige Gral der nachhaltigen Entwicklung?

Bioökonomie fasst unterschiedliche Sektoren zusammen, die auf die Nutzung von Organismen und biologischen Prozessen zurückgreifen. Dabei kann sowohl Biomasse verarbeitet werden, z.B. zur Produktion von Bioenergie, als auch biologische Prozesse genutzt werden, z.B. durch Bakterien, die Insulin produzieren. Befürworter solcher Technologien und Verfahren, stellen häufig das Potential für eine nachhaltige Wirtschaft heraus. Politiker hier, aber auch im globalen Süden, erhoffen sich von der Bioökonomie nicht selten den heiligen Gral: wirtschaftliche Entwicklung und steigender Wohlstand für alle, ohne negative Auswirkungen auf die Natur und die Ärmsten dieser Welt.

Manchmal ist das Gegenteil von „gut“ „gut gemeint“

Was ist also dran am heiligen Gral? Auch Biomasse ist eine begrenzte Ressource und kann nicht in unendlich zur Verfügung gestellt werden, auch wenn es sich um einen nachwachsenden Rohstoff handelt. Kritiker argumentieren deshalb, dass eine Bioökonomie, die nur darauf abzielt Rohstoffe, wie zum Beispiel Erdöl, durch Biomasse, z.B. in Form von Palmöl oder Rapsöl, zu ersetzen, nicht nachhaltig sein kann. Wenn immer mehr wirtschaftliche Sektoren immer mehr Biomasse benötigen, besteht zum Beispiel das Risiko, dass Preise für Nahrung und Ackerland steigen und die Sicherstellung der Ernährung der Weltbevölkerung gefährdet. Gleichzeitig erhöht sich der Druck auf die Ökosysteme, die bisher noch nicht so stark durch den Menschen genutzt werden, aber für den Erhalt der Biodiversität wichtig sind.

Positive Effekte der Bioökonomie werden häufig überschätzt

Im Rahmen der Projekter STRIVE (Sustainable Trade and Innovation Transfer) und LANUSYNCON (At the Science Policy Interface: LANd Use SYNergies and CONflicts within the framework of the 2030 Agenda), beide finanziert mit Mitteln des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung, beschäftigen sich Wissenschaftler am Zentrum für Entwicklungsforschung mit der Frage wie nachhaltige Entwicklung angesichts der Begrenztheit von Land und Biomasse möglich ist. Dabei untersuchen sie auch die Chancen und Risiken von Bioökonomie und fanden heraus, dass Erwartungen an bioökonomische Innovationen häufig – gerade am Anfang – überhöht sind und später wieder relativiert werden müssen. Die naheliegende Begründung dafür ist, dass Innovationen und deren Effekte meist nur in Laboren und unter kontrollieren Bedingungen getestet werden. Werden diese dann aber unter realen Bedingungen implementiert und stärker verbreitet, kommt es häufig zu unerwünschten Nebeneffekten. Eine erhöhte Nachfrage nach Biomasse zur Produktion von Bioplastik kann zum Beispiel zu einer höheren Entwaldungsrate führen oder dazu, dass Preise für Ackerland steigen und Kleinbauern vom Markt verdrängt werden.

Um Bioökonomie nachhaltig zu gestalten kommt deshalb der Technologie-Folgenabschätzung eine besondere Bedeutung zu. Nur wenn potentielle negative Nebeneffekte berücksichtigt und die Begrenztheit natürlicher Ressourcen anerkannt werden, kann Bioökonomie einen echten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​