Back to the roots: Weidehaltung mit Innovationsschub - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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12.04.2021

Back to the roots: Weidehaltung mit Innovationsschub

Kurz & Knapp
  • Weidetiere fördern die Differenzierung kleinstrukturierter Lebensräume und die Artenvielfalt in der Landschaft.
  • Zur Lösung der Zielkonflikte zwischen ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit bedarf es eines Innovationsschubs der Weidehaltung.
  • Einbindung von Akteursnetzwerken stellen die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit von Innovationen sicher.

Back to the roots: Weidehaltung mit Innovationsschub

Ein Beitrag von Juliane Horn und Johannes Isselstein; Abteilung Graslandwissenschaft, Georg-August-Universität Göttingen

Seit der letzten Eiszeit formten Weidetiere maßgeblich unsere Landschaft. Sie schufen das heutige Mosaik von Offenlandschaften und Wäldern. Weidetiere bewirken durch ihre selektive Futteraufnahme, Verteilung ihrer Exkremente, Trittbelastung der Grasnarbe und Ausbreitung von Samen über Fell und Kot, die strukturelle Uneinheitlichkeit in der Zusammensetzung der Vegetation. Dies fördert die Differenzierung kleinstrukturierter Lebensräume und die Artenvielfalt der Landschaft. Eine nachhaltige Beweidung mit Nutztieren hat ähnliche ökologische Schlüsselfunktionen. Der Ursprung der Nutztierhaltung liegt erst ca. 11.000 Jahre zurück, was angesichts der 5 Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte der Menschheit eine kurze Zeitspanne darstellt. Über Jahrtausende wurden Rinder, Ziegen und Schafe überwiegend auf Feldern, Brachen, Wiesen oder in Wäldern gehalten. Durch Wanderweiden, die ein saisonales Mosaik zahlreicher Weideflächen bildeten, wurde die saisonale Variabilität der Futterverfügbarkeit ressourcenschonend genutzt und ein nachhaltiger Weidedruck sichergestellt.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Johannes Isselstein ist Professor für Graslandwissenschaft an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. Sein Forschungs- und Lehrinteresse liegt in der Entwicklung von landwirtschaftlichen Produktionssystemen, die die Erzeugung von hochwertigen landwirtschaftlichen Produkten mit der Bereitstellung von wichtigen weiteren Ökosystemleistungen verbinden, insbesondere im Bereich der biologischen Vielfalt.

Dr. Juliane Horn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Graslandwissenschaft der Georg-August-Universität Göttingen und in dem vom BMBF geförderten Projekt GreenGrass tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ökologische Modellierung von Landnutzungsszenarien, Bienengesundheit, und Entwicklung innovativer Weideproduktionssysteme zur Erzeugung hochwertiger Produkte und Bereitstellung von Ökosystemleistungen. Sie ist in der Koordination von GreenGrass tätig und erarbeitet innovative Weidekonzepte mithilfe von smart farming Technologien.

Der Rückgang der Weidehaltung seit Beginn des 20. Jahrhunderts

Mit zunehmender Industrialisierung und Globalisierung wurde die Viehhaltung stark intensiviert. Milchkühe werden heute weitestgehend im Stall mit Silagen und Futtermitteln vom Acker versorgt. Dies ist besonders bei hochintensiven Milchviehbetrieben der Fall, die unter dem starken Druck stehen, die jährliche Milchproduktion mit zunehmenden Herdengrößen bei minimaler Landnutzungsfläche zu steigern. Bei sinkenden Milchpreisen, hohem Bürokratieaufwand, geringer Vergütung erbrachter Umweltgüter und dem fehlenden technologischen Innovationsschub ist eine nachhaltige Weidehaltung derzeit schwer zu realisieren. Nachhaltige Bewirtschaftung ist aber entscheidend für die Resilienz des Grünlands und für den Erhalt seiner wichtigen Ökosystemfunktionen wie Kohlenstoffspeicherung, Stoffkreislauf- und Wasserregulation, und Lebensraum für Flora und Fauna.

Zurück zur Weidehaltung durch Innovation und Partizipation

Ziel der Milchvieh- und Rinderhaltung sollte es sein, das Potenzial des Grünlands nachhaltig auszuschöpfen, den Acker zu entlasten, und Tierwohl zu fördern. Der Weg zu einer bioökonomischen Weidewirtschaft führt über einen dringend erforderlichen technologischen Innovationsschub für die Vereinfachung der Arbeitsabläufe und über neue Ansätze zur fairen Einpreisung von Umweltleistungen in hochwertige Produkte. Entscheidend ist auch die Integration der Bedarfe aller Akteure von den Landwirtinnen und Landwirten bis hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Innovative Weidehaltung ermöglicht eine stabile Produktivität bei ressourcenschonender Nutzung, fördert die Struktur- und Artenvielfalt, und verschafft weniger Bürokratie und mehr Transparenz für alle Beteiligten. Im Projekt GreenGrass ermöglicht die Technologie des virtuellen Zäunens eine flexible und kleinräumige Zäunung des Weidelandes zur effizienten Futterversorgung der Tiere und Sicherstellung eines nachhaltigen Weidedrucks ohne aufwendiges Zaunstecken. Das virtuelle Zäunen dient der Beweidungskontrolle durch Ausgrenzen von bestimmten Teilbereichen der Weide. Systeme des virtuellen Zäunens für Rinder bestehen aus einem Halsband, das bei Annäherung an eine virtuelle (nicht sichtbare) Grenze akustische Warnsignale, ähnlich dem Piepton der Einparkhilfe, aussendet. Versucht das Tier dennoch das ausgegrenzte Flächenstück der Weide zu betreten, folgt ein aversives Signal. Außerdem sind Entwicklungsarbeiten zur Bewertung des biotischen Zustandes des Weidelands durch einfache Indikatoren aus Fernerkundungsdaten und deren Verarbeitung in einem Informationssystem zur vorab Simulation der ökonomischen und ökologischen Leistung für das Setzen der virtuellen Zäune entscheidend. Die Auslotung von Vermarktungsstrategien der Produkte und Umweltgüter und die Integration eines umfassenden Akteursnetzwerkes stellen die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit sicher.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​