Einbahnstraße oder Kreislauf? - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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23.04.2021

Einbahnstraße oder Kreislauf?

Kurz & Knapp
  • Neue Wege einer ressourcenschonenden Nahrungsmittelproduktion sind schon heute notwendig, denn die globalen Ressourcen sind endlich.
  • Durch dezentrale Schließung von Nährstoffkreisläufen können innovative und unkonventionelle Lösungen für eine sich zuspitzende Nährstoffverknappung in der landwirtschaftlichen Produktion bereitgestellt werden. Neuartige Sanitärsysteme machen es möglich, Abwasserströme gemeinsam mit den häuslichen Küchenabfällen ressourcenschonend wiederaufzubereiten, um neue, nährstoffreiche, sichere, wirksame und klimaschonende Produkte für die Agrarwirtschaft der Zukunft bereit zu stellen.
  • Soziale Lösungen und technische Konzepte gehen hierbei Hand in Hand.

Ein Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Martin Kranert, Universität Stuttgart

Während bis heute in großem Umfang eine lineare Produktions- und Entsorgungskette existiert, muss künftig mehr in Kreisläufen gedacht werden. Nicht nur Änderungen in landwirtschaftlichen Produktionsweisen sind dafür erforderlich, sondern es sind auch Konsummuster kritisch zu hinterfragen. Aus häuslichen Reststoffen wie Abfall oder Abwasser können nach einer sorgfältigen Wiederaufbereitung Produktionsmittel für die Landwirtschaft hergestellt werden. Doch scheitert diese Option an der menschlichen Hemmschwelle? Es kann sich lohnen, das mutmaßlich Unmögliche zu versuchen.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr.-Ing. Martin Kranert ist Inhaber des Lehrstuhls für Abfallwirtschaft und Abluft am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart. Forschungsschwerpunkte sind auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft besonders biologische Verfahren (Kompostierung, Anaerobtechnik) sowie die Vermeidung von Lebensmittelabfällen und konzeptionelle Ansätze. Prof. Kranert ist Projektleiter des Verbundprojekts „Rural Urban Nutrient Partnership (RUN) - Nährstoffgemeinschaften für eine zukunftsfähige Landwirtschaft“, das vom BMBF gefördert wird.

Nachhaltiger Konsum und Produktion rütteln an tiefen Glaubenssätzen

Stadt und Land sind sich in ihrem natürlichen Produktionskreislauf heute meist entfremdet, obwohl auch in Deutschland seit vielen hundert Jahren bedeutende Wechselwirkungen zwischen den Räumen bestehen: Auf dem Land werden Lebensmittel produziert, in der Stadt vor allem konsumiert. Die Nährstoffe wandern vom Land zur Stadt und gehen dort jedoch seit dem Ausbau unseres zentralen Entsorgungssystems verloren. Ein Nährstoffgefüge auf lokaler oder regionaler Ebene hatte davor zumindest teilweise existiert – natürlich war es unausgereift und suboptimal. Der Gedanke, Abfälle und Abwasser als wertvolle Ressourcenlieferanten zu sehen, ist aktuell nur unvollkommen umgesetzt. Hier gilt eher: Aus den Augen aus dem Sinn.

Doch können neben den trockenen Wertstoffen wie z.B. Papier und Glas auch Abfallströme wie etwa Bioabfall und darüber hinaus theoretisch auch Teilströme unseres Abwassers (Urin, Fäzes) recycelt werden. Aktuell wird eines der Endprodukte unserer Produktions- und Konsumkette – der Klärschlamm – jedoch einfach verbrannt, wobei wichtige Nährstoffe verloren gehen. Mit innovativen Verfahren der Kreislaufführung zwischen Stadt und Land sparen wir hingegen deutlich an Ressourcen und Energie und können gleichzeitig das Klima schützen.

Menschliche Verhaltensänderungen sind jedoch schwieriger umzusetzen und benötigen Zeit. Die innovativste Technologie allein kann schwer der Heilsbringer sein, wenn die Gesellschaft Hemmungen hat, diese Technologie anzunehmen. Schließlich stellt die Kreislaufidee tiefsitzende menschliche Fortschrittsparadigmen auf den Kopf: nicht nur soll die hygienische Errungenschaft der zentralen Ver- und Entsorgung wieder dezentral gedacht werden. Recycelt werden soll ausgerechnet das, was die meisten von uns als schädlichen Reststoff verinnerlicht haben. Dabei ist der Kreislauf von Reststoffen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten nicht einmal neu – die Tabuisierung menschlicher Exkremente ist eine relativ neue Entwicklung.

Kommunikation und Bewusstseinsbildung sind hierbei die Schlagworte. Um den Menschen die Berührungsängste mit den eigenen Abfallstoffen zu nehmen, muss das Thema zunächst enttabuisiert werden. Die Botschaft ist, Abfall und Abwasser als einen wertvollen Rohstoff zu begreifen, der sauber wiederverwertet werden kann. Hierzu gehört es, neue Technik transparent und verständlich zu erklären, sie zu veranschaulichen und erfahrbar machen, um sich mit ihr anzufreunden. Noch viel wichtiger ist jedoch, Produzenten (Haushalte) und Konsumenten der Abfallstoffe (Landwirtschaftliche Betriebe) regional wieder näher zusammenzubringen und ein verlorengegangenes soziokulturelles Wissen über den Nutzen von Abfallkreisläufen wieder zu reaktivieren. Durch ein Reallabor, wie es in unserem RUN-Projekt vorgesehen ist, kann diese Herausforderung zielgerichtet angegangen werden.

Die richtige Technologie bereitet den Weg

Wieso soll es heute undenkbar sein, ein solches kleinskaliges Kreislaufsystem zu reanimieren, sofern man es optimiert?

Die Technik muss dafür natürlich an die aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst und massentauglich sein. „Neue alte“ regionale Nährstoffgefüge können so mit größerer Widerstandfähigkeit gegenüber globalen Veränderungen wie dem Klimawandel und seinen Folgen punkten. Durch die Kombination von wassersparenden Vakuumtoiletten in Haushalten für Schwarzwasser und dem Unterdruckabtransport von Bioabfällen direkt aus der Küche mit der Herstellung von aus diesen Stoffströmen hergestellten Designdüngern wird die Entsorgungslogistik neu gedacht. Die Nährstoffe können in der Landwirtschaft direkt wiedereingesetzt werden. Die hieraus hergestellten landwirtschaftlichen Produkte kommen zurück in die Haushalte und der Kreislauf ist geschlossen.

Letztendlich müssen neue Konzepte nicht nur durch Nutzen überzeugen, sondern zumindest technisch so einfach wie möglich umsetzbar sein, damit die Menschen sie annehmen. Einfach heißt in diesem Sinne zum Beispiel geringe Investitionskosten für Sanitäranlagen, intuitive Bedienbarkeit, keine Geruchs- und Lärmbelästigung und kein wesentlich höherer Umstellungs- und Zeitaufwand bei gleichzeitig größtem Nutzen. Es lohnt sich, diese Herausforderung anzunehmen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​