Biodiversität: Erhalt und Verwertung
Eins der häufig präsentierten Ziele der Bioökonomie ist der Erhalt der Biodiversität – etwa die Artenvielfalt humusbildender Mikroorganismen in Böden oder der Sortenvielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen. Biodiversitätsverlust zählt zu den Kernproblemen der sozial-ökologischen Krise. Biodiversität ist jedoch zugleich eine wichtige Ressource der Bioökonomie: Spezifische Eigenschaften lebendiger Organismen – etwa die Fähigkeit von Bodenmikrobien mit ihrem Stoffwechsel Substanzen umzuwandeln – gelten als neue Werkzeuge zur Produktivitätssteigerung, vom Landbau bis zur chemischen Raffinerie. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Erhalt und wirtschaftlicher Verwertung und seine sozial-ökologischen Bedeutung werden wenig zur Kenntnis genommen im Kontext der Bioökonomie.
Historische Perspektive
Um dieses Verhältnis besser einschätzen zu können, forschen wir im Projekt BioMaterialities auch aus historischer Perspektive. So rückt z. B. in den Fokus, dass die Bioökonomie nicht der erste Versuch ist, durch die massive Förderung technisch-biologischen Wissens, die lebendige Natur derart zu rationalisieren und ökonomisch zu verwerten.
Die Industrialisierung der Landwirtschaft im Zuge der wissenschaftlichen Züchtung von Nutztieren und -pflanzen zu Beginn des 20. Jahrhundert stellt ein ähnliches Phänomen dar. Damals existierte Biodiversität noch nicht als Konzept, doch wohl ein vergleichbares Bewusstsein, dass die ökonomische Verwertung einer optimierten Natur davon abhing, dass sie etwa in Saatgutsammlungen oder botanischer Gärten vermessen und katalogisiert wurde, um so ihre Eigenschaften vereinzelt einzusetzen und zu verwerten. „Biodiversität“ als Konzept stammt aus den 1980er Jahren als deutlich wurde, dass diese Rationalisierung zu einem dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt geführt hatte und etwa 90% aller Nutzpflanzensorten verloren waren.