Biodiversität in der High-Tech Bioökonomie - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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16.09.2020

Biodiversität in der High-Tech Bioökonomie

Kurz & Knapp
  • Erhalt und Verwertung der Biodiversität sind in der Bioökonomie nicht voneinander zu trennen. Das ist ein Spannungsverhältnis und kann zu Zielkonflikten führen.
  • Eine historische Sicht auf Bioökonomie liefert wichtige Impulse, um Biodiversitätsverslust als sozial-ökologisches Problem zu verstehen.
  • Das Projekt BioMaterialities fragt, wie High-Tech Ansätze das widersprüchliche Verhältnis zwischen Erhalt und Verwertung der Biodiversität neu gestalten. Durch die neuen Digital- bzw. Biotechnologien ist Biodiversität in vielerlei Hinsicht „sichtbarer“ als zuvor, gleichzeitig werden die Bereiche ihrer Verwertung erweitert. Zur Einschätzung dieses Verhältnisses müssen Aspekte mitgedacht werden wie etwa aktuelle Konflikte um die erhöhte Förderung von Biomasse, oder um Land und Wasser.

Biodiversität in der High-Tech Bioökonomie

Ein Beitrag von Dr. Miriam Boyer, Humboldt-Universität zu Berlin

Biodiversität: Erhalt und Verwertung

Eins der häufig präsentierten Ziele der Bioökonomie ist der Erhalt der Biodiversität – etwa die Artenvielfalt humusbildender Mikroorganismen in Böden oder der Sortenvielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen. Biodiversitätsverlust zählt zu den Kernproblemen der sozial-ökologischen Krise. Biodiversität ist jedoch zugleich eine wichtige Ressource der Bioökonomie: Spezifische Eigenschaften lebendiger Organismen – etwa die Fähigkeit von Bodenmikrobien mit ihrem Stoffwechsel Substanzen umzuwandeln – gelten als neue Werkzeuge zur Produktivitätssteigerung, vom Landbau bis zur chemischen Raffinerie. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Erhalt und wirtschaftlicher Verwertung und seine sozial-ökologischen Bedeutung werden wenig zur Kenntnis genommen im Kontext der Bioökonomie.

Historische Perspektive

Um dieses Verhältnis besser einschätzen zu können, forschen wir im Projekt BioMaterialities auch aus historischer Perspektive. So rückt z. B. in den Fokus, dass die Bioökonomie nicht der erste Versuch ist, durch die massive Förderung technisch-biologischen Wissens, die lebendige Natur derart zu rationalisieren und ökonomisch zu verwerten.

Die Industrialisierung der Landwirtschaft im Zuge der wissenschaftlichen Züchtung von Nutztieren und -pflanzen zu Beginn des 20. Jahrhundert stellt ein ähnliches Phänomen dar. Damals existierte Biodiversität noch nicht als Konzept, doch wohl ein vergleichbares Bewusstsein, dass die ökonomische Verwertung einer optimierten Natur davon abhing, dass sie etwa in Saatgutsammlungen oder botanischer Gärten vermessen und katalogisiert wurde, um so ihre Eigenschaften vereinzelt einzusetzen und zu verwerten. „Biodiversität“ als Konzept stammt aus den 1980er Jahren als deutlich wurde, dass diese Rationalisierung zu einem dramatischen Rückgang der biologischen Vielfalt geführt hatte und etwa 90% aller Nutzpflanzensorten verloren waren.

Köpfe des Wandels

Miriam Boyer ist Sozialwissenschaftlerin. Sie leitet die BMBF-geförderte Forschungsgruppe BioMaterialities, die vom 2019-2024 an der Humboldt Universität zu Berlin, Fachgebiet Agrarpolitik, angesiedelt ist. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. theoretische Zugänge zur Natur und Gesellschaft, Geschichte der Biotechnologien und der Pflanzenzüchtung sowie Konflikte um die Nutzung natürlicher Ressourcen.

High-Tech als Schlüssel zum Erhalt?

Heute schreitet die Vermessung der Biodiversität rasant voran und bezieht weitere Ökosysteme mit ein, darunter den menschlichen Körper oder die Meere. Digital- und Biotechnologien dienen dazu, die biologische Vielfalt zunehmend „sichtbar“ und zielgenau „greifbar“ zu machen.

Dies hat zu neuen Ansätzen der Biodiversitätsförderung, aber auch zu zahlreichen neuen Verwertungsbereichen, von Ökosystemleistungen oder Materialforschung, geführt. Wir betrachten diese neuen Entwicklungen und fragen, wie diese die Widersprüche zwischen wirtschaftlicher Verwertung und Erhalt der Biodiversität verändern oder gar verschärfen. Wir berücksichtigen dabei Konflikte um Land oder Wasser, die mit der zunehmenden Förderung von Biomasse in der Bioökonomie einhergehen sowie das enge historische Verhältnis zwischen biologischer und kultureller Vielfalt. In unserer Forschung geht es um eine Einschätzung dieser Zusammenhänge sowie um die Auslotung von Strategien, wie Biodiversität für die Zukunft erhalten und reproduzierbar bleiben kann.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​