Der Wandel von der Fischerei zur Aquakultur - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

Springe zu:

Springe zum Inhalt

18.09.2020

Der Wandel von der Fischerei zur Aquakultur

Kurz & Knapp
  • Der Wandel von Fischerei zur Aquakultur, die Abkehr vom Jagen und Sammeln auf dem Meer, vollzieht sich in wenigen Jahrzehnten.
  • Das bringt extreme ökologische, ökonomische und soziale Veränderungen mit sich.
  • Durch Fischkonsum sind wir mit den Veränderungen in den Tropen direkt verbunden.

Der Wandel von der Fischerei zur Aquakultur

Ein Beitrag von Achim Schlüter, Zentrum für Marine Tropenforschung

Der Hunger nach tierischen Proteinen in der Welt wächst. Fisch ist besonders gesund und lecker und spielt in vielen Gesellschaften eine bedeutende Rolle für die Ernährungssicherung. Viele wilde Fischbestände sind überfischt und wir können nicht wie in einer Fabrik einfach die Produktion erhöhen, wenn die Nachfrage steigt. Denn wir produzieren nicht, sondern wir jagen und sammeln. Da liegt es nahe, dass man auf die Idee kommt, von der „wilden“ Fischerei zur Aquakultur überzugehen.

Der Übergang vom Jäger und Sammler zum Kulturwirt schreitet im Fischereisektor in atemberaubender Geschwindigkeit voran. Auf dem Land dauerte dieser Übergang mehrere tausend Jahre. Bei der Fischerei wurde die Aquakultur innerhalb eines halben Jahrhunderts von einer vernachlässigbaren Größe zur dominierenden Produktionsform. Seit 2013 ist die weltweite Aquakulturproduktion größer als der Fang in der Fischerei.

Aus der Perspektive der Institutionenökonomie – der Teil der Ökonomie, der sich mit der Entstehung und Veränderung von Regeln und Verträgen beschäftigt – ist dies ein fundamentaler gesellschaftlicher und ökonomischer Wandel. Der Fischer wird zum Wirt. Es muss in sehr viel größerem Stil investiert werden, z. B. in Anlagen, junge Fische und Futter. Ein kleiner Fischer fährt nachts zur See und weiß gegen Mittag, was er gefangen hat. Ein Aquakulturwirt benötigt, ähnlich einem Landwirt, viele Monate, bis seine Arbeit „Fische trägt“. Manche Fischer werden zu Angestellten, andere müssen mit Banken verhandeln und vollkommen neue Vertriebswege eröffnen, denn es stellt sich die Frage, was man mit so viel Fisch macht, wenn er „fertig“ ist. Es gibt keine guten oder schlechten Tage wie beim Fischer, aber dafür Seuchen, die innerhalb von wenigen Tagen einen ganzen Produktionszyklus zerstören können. So viele Fische auf einem Haufen brauchen Platz und machen Dreck. Das stellt die Gesellschaften (Gemeinden, Regionen, Staaten und darüber hinaus) vor große regulatorische Herausforderungen und birgt ein großes Konfliktpotential.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Achim Schlüter ist Ökologischer Ökonom und arbeitete an der Jacobs Universität und am Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Das ZMT hat die Aufgabe, für die Gesellschaft einen wissenschaftlichen Beitrag für die nachhaltige Nutzung von tropischen marinen Küsten-Ökosystemen zu leisten.

Wir und Aquakultur in den Tropen

Das ist interessant, aber warum ist es spannend und relevant für das deutsche Wissenschaftsjahr der Bioökonomie? Manche Jahre im April, manchmal im Mai begehen einige NGOs in Deutschland den „Fish Dependence Day“. Das ist der Tag, an dem wir in Deutschland die heimische, nachhaltig mögliche Produktion konsumiert haben und auf Importe angewiesen sind.

Es wird viel aus tropischer Aquakultur importiert, z. B. die Shrimps aus dem Kühlregal. Diese werden mit großen Mengen Fischmehl aus Fabriken gefüttert, die entlang der Küsten der großen Ozeanauftriebsgebiete in den letzten Jahrzehnten entstanden sind (z. B. vor Peru oder Westafrika) und vom wilden Fisch gespeist werden. Es gibt deutliche Anzeichen, dass dies nicht nachhaltig ist und es entstehen große Nutzungskonkurrenzen mit der lokalen Bevölkerung, die dieses Protein benötigt.

Dieser kurze Beitrag kann nur andeuten, welche wichtigen Fragen der Nachhaltigkeit durch den Wandel der Bioökonomie auf unsere Gesellschaft zukommen. Besonders die Aquakultur bietet besondere Chancen für die Ernährungssicherung, effizientere und ggf. nachhaltigere Produktion von natürlichen Ressourcen als z. B. auf dem Land. Sie birgt aber auch Nachhaltigkeitsrisiken, ökologischer, ökonomischer und sozialer Natur. Das erfordert gesellschaftlichen Dialog, der mit zu schaffendem (natur-, sozial- und ingenieurswissenschaftlichem) Wissen unterstützt werden kann.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​