Maßgeschneiderte Proteinbausteine für die Biologisierung von Industrien - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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23.11.2020

Maßgeschneiderte Proteinbausteine für die Biologisierung von Industrien

Kurz & Knapp
  • „Protein Engineering“ ermöglicht mit maßgeschneiderten Proteinfunktionsbaukästen Innovationen in der Polymer- und Materialforschung sowie zahlreichen Abnehmerindustrien.
  • Proteinbaukästen sind die Grundlage für eine spezifische, schaltbare, nachhaltige und hocheffiziente Polymer- und Materialausrüstung als Teil einer Kreislaufwirtschaft.
  • Die energieeffiziente Produktion smarter Materialien in Wasser und ohne Lösungsmittel benötigt neue Produktionsverfahren und Maschinen.

Maßgeschneiderte Proteinbausteine für die Biologisierung von Industrien

Ein Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg, RWTH Aachen University & DWI Leibniz Institut für Interaktive Materialien

Eine „Biologisierung von Industrien“ beschreibt, wie in einer bioökonomisierten Produktion zunehmend biobasierte Rohstoffe und Funktionsbausteine sowie Prinzipien der Natur für Herstellung nachhaltiger Produkte genutzt wird. Eine fachübergreifende Zusammenarbeit von Disziplinen – zum Beispiel Chemie, Biotechnologie, Landwirtschaft, Materialwissenschaft und/oder Maschinenbau, die auf nachwachsenden Rohstoffen beruht, hat das Potenzial, Industrien und deren Geschäftsmodelle neu zu definieren.

Eine bioökonomisierte Produktion ist Träger und Treiber in der Ressourcen- und Energiewende. Ihr Ergebnis sind intelligente und nachhaltige Produkte mit hoher Wertschöpfung, die neue Produktionstechnologien notwendig machen.

Für nachwachsende und lokale Rohstoffquellen gibt es grundsätzlich zwei Nutzungsmöglichkeiten: als Wertstoffmoleküle oder als Material. Letztere erfordert eine Neuerfindung von Teilen der Synthesechemie und von Materialwissenschaften und eröffnet vielfältige Chancen um Produkte zu entwickeln, bei denen etwa das Recycling im Design bereits berücksichtigt ist.

Um zu einer höheren Wertschöpfung zu gelangen, müssen biologische Bausteine in eine funktionale Form gebracht und in bzw. auf Materialien wie Kunststoffen, Metallen/Implantaten, natürlichen Oberflächen (z. B. Blätter, Früchte) oder Keramiken aufgebracht werden können.

Beispiele biologischer Funktionen sind u. a. ein wasserabweisender Lotuseffekt oder antimikrobielle Ausrüstungen in Textil- oder Medizinprodukten. Solche biologischen Ausrüstungen erfordern eine neue Verarbeitungstechnologien aus wässrigen Systemen und neue Produktionsmaschinen.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg studierte und promovierte an der Universität Stuttgart im Fachbereich Chemie (1999; Arbeitsgruppe Prof. Dr. R.D. Schmid). Nach einem zweijährigen Postdoc-Aufenthalt am Caltech (Arbeitsgruppe Prof. Dr. F.H. Arnold; Nobelpreisträgerin 2018) wurde er 2002 zum Professor an die Jacobs University Bremen berufen. Seit 2009 leitet er an der RWTH Aachen das Institut für Biotechnologie und ist seit 2014 Mitglied der wissenschaftlichen Leitung im Aachener DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien. Prof. Schwaneberg sitzt im Beirat des CLIB-Clusters Biotechnologie, leitet zwei Innovationslabore im BioökonomieREVIER und ist zudem seit 2010 im Leitungsgremium des Bioeconomy Science Centers tätig. Seine Arbeitsgruppe, die AG Schwaneberg, forscht an der Entwicklung maßgeschneiderter Biokatalysatoren und Peptiden für Innovationen in der Biokatalyse, Pflanzengesundheit, Medizin und den Materialwissenschaften. Diese Expertise mündete in bisher zwei Ausgründungen: SeSaM Biotech und Aachen Proteineers.

Die Bedeutung und das Potential der Entwicklung von maßgeschneiderten Proteinfunktionsbaukästen zeigt die Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2018 für Methoden des Protein Engineering.

Die Methoden des Protein Engineerings erlauben es, funktionale Biobausteine mit einer Materialspezifität vergleichbar zu Antikörpern und einer exzellenten Belegungsdichte, beispielsweise durch Besprühen mit oder Eintauchen in einer wässrigen Lösung, auszurüsten. Dies geschieht in energieeffizienten Prozessen ohne den Einsatz von Lösungsmitteln. Damit ergeben sich eine Vielzahl von Anwendungs- und Innovationsmöglichkeiten in der Abnehmerindustrie wie der Pflanzengesundheit, Humanmedizin, Textil-, Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie.

Ein Beispiel für die Pflanzengesundheit sind hierbei die greenRelease- und BiFuProts-Technologien, die mit dem Innovationspreis der BioRegionen Deutschlands in 2018 ausgezeichnet und in einem „Science News“-Artikel gewürdigt wurden. Hierbei wird über ein Bio-Funktionsbaustein, das selektiv an die Wachsschicht von Blättern bindet, ein wirkstoff-beladener Container an Pflanzenblätter angebunden. Über Protein-Engineering-Methoden kann die Regenfestigkeit eingestellt und über eine gezielte Freisetzung kann der Pestizideinsatz signifikant reduziert werden.

Diese Bio-Funktionsbausteine binden z. B. auch Polymere wie Polypropylene, Polyethylene oder Polyester, die u. a. in Textilfasern oder in Medizinprodukten verwendet werden. Sie können wertvolle Beiträge zum Plastik-Recycling über einen spezifischen Abbau von Mischpolymeren leisten.

Produktausrüstungen mit Biofunktionsbausteinen bieten auch Chancen für Innovationen im Maschinenbau, insbesondere in der Entwicklung neuer energieeffizienter Produktionsverfahren und -maschinen zur Beschichtung aus wässrigen Systemen bei Raumtemperatur. Denkbare Produkte wären u. a. kompostierbare Verpackungen für Fast-Food Hersteller – z. B. aus (Gras-)Papier und einer biologisch abbaubaren Proteinbarriereschicht gegen Fett, um Fettflecken im Papier zu vermeiden.

Der Beherrschung der heterogenen Grenzfläche biobasierter Materialien kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu, um Innovationspotentiale zu realisieren und Nutzungsanforderungen von Verbrauchern und der Industrie an Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen zu erfüllen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​