Mikroorgansmen – kleine Helfer brauchen große Partnerschaften - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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02.06.2020

Mikroorganismen – kleine Helfer brauchen große Partnerschaften

Kurz & Knapp
  • In den letzten Jahrzehnten gab es enorme Fortschritte beim Verständnis von Mikroorganismen und ihrer Nutzung in industriellen Anlagen.
  • Die Optimierungen der Mikroorganismen durch die moderne Biotechnologie und die industrielle Verfahrenstechnik sind eine unbedingte Voraussetzung für den Erfolg einer wissensbasierten und kreislauforientierten Bioökonomie.
  • Das Zusammenspiel vieler Partner in Forschung, Entwicklung, Produktion und Anwendung ist in der industriellen Arbeit mit Mikroorganismen unerlässlich.

Warum brauchen wir Mikroorganismen in der Industrie?

Ein Beitrag von Dr. Karl-Heinz Maurer, clib – Cluster Industrielle Biotechnologie

Industrielle Biotechnologie beruht auf der Nutzung von Mikroorganismen oder den von ihnen gebildeten Produkten. Vergleichbar mit Hefen beim Backen oder Brauen können Mikroorganismen als ganze Zellen verwendet werden. Die häufigere Möglichkeit ist die Gewinnung der von ihnen gebildeten Produkte, zum Beispiel Enzymen, Aminosäuren, Vitamine, Antibiotika oder Zellextrakte. Dies ermöglicht die Herstellung von Substanzen, die mit klassischen chemischen Verfahren nur schwer, oder gar nicht produziert werden können.

Der industrielle Kontext reicht von der Chemie (zum Beispiel Biokunststoffe, Wasch- und Reinigungsmittel, Medikamente) über die Futtermittel- und Nahrungsmittelerzeugung bis zur Herstellung von Treibstoffen mit Mikroalgen.

Natürlich hat die Menschheit jahrtausendelange Erfahrung in der handwerklichen Verwendung von Hefen (Bäckerhefe) und Bakterien (Milchsäurebakterien) in der Lebensmittelherstellung. Aber der industrielle Einsatz hat sich erst mit der Entwicklung von großtechnischen Anlagen (Bioreaktoren) und den Fortschritten der modernen Biotechnologie in den letzten 50 Jahren erschlossen. Das Wissen auf diesen Gebieten hat seither enorm zugenommen.

Köpfe des Wandels

Dr. Karl-Heinz Maurer promovierte an der Universität Tübingen mit Schwerpunkt Biochemie und Mikrobiologie. Nach einem post-doc Aufenthalt an der University of Wisconsin (Madison) begann er 1986 in der Forschung der Firma Henkel (Düsseldorf) mit Schwerpunkt auf industriellen Enzymen. Von 2000 bis 2010 leitete er dort die Biotechnologie. Seit 2009 ist er Honorarprofessor an der Universität Greifswald. 2011 wechselte er zur Firma AB Enzymes (Darmstadt), wo er im Leitungsteam die globale Verantwortung für Business Development, Marketing und Gesetzliche Regelungen hatte. Ende 2019 ging er dort in den Ruhestand, wurde Mitgründer der Aachen Proteineers und ist derzeit Vorstandsvorsitzender von clib - Cluster industrielle Biotechnologie in Düsseldorf.

Welche neuen Verfahren stehen uns heute zur Verfügung?

Aufgrund der rasanten Fortschritte in der DNA-Analyse (Sequenzierungstechnologie) können wir heute Erbinformationen (Genome) verschiedener Mikroorganismen schneller und besser verstehen. Dadurch können wir gezielte Veränderungen dieser Organismen vornehmen, um die gewünschten Produkte effizienter herzustellen. Aufgrund der Möglichkeiten zur synthetischen (chemischen) Herstellung genetischer Information können sogar Bereiche der Erbinformation eines Mikroorganismus gezielt neu hergestellt bzw. ausgetauscht werden. Somit werden ganz neue Stoffwechselwege und damit auch neue Produkte ermöglicht.

Was braucht es um eine technologische Neuerung auf den Markt zu bringen?

Diese Technologieentwicklungen sind von hoher Bedeutung für die Nutzung im Rahmen der industriellen Biotechnologie. Industrie bedeutet aber auch Arbeitsteilung, industrielle Maßstäbe und die Beachtung von Rahmenbedingungen, die nicht mit denen akademischer Forschung vergleichbar sind. Akademische Entdeckungen und Erfindungen gelangen deswegen nicht automatisch in die industrielle Anwendung.

Hierfür benötigen wir ein Zusammenspiel zwischen akademischer Forschung, die dem reinen Erkenntnisgewinn dient, industrieller, anwendungsorientierter Forschung und der Anwendungstechnik für das Produkt.

Forschungseinrichtungen, Biotechnologieunternehmen und anwendende Unternehmen müssen zusammenarbeiten, um die gesamte Kette von der wissenschaftlichen Idee bis zum Produkt abzubilden. Im Idealfall erleben wir dann den praktischen Einsatz beim privaten Verbraucher wie bei Waschmittelenzymen.

Da wir im industriellen Kontext unterwegs sind, sind für die Umsetzung von Erfindungen in tatsächlich genutzte Innovationen unternehmerische Entscheidungen notwendig. Zur Kultivierung von Mikroorganismen werden je nach Organismus und Anwendung Bioreaktoren mit bis zu 500.000 Litern Inhalt benötigt. Diese verbrauchen für das Mischen und die Kühlung sehr viel Energie.

Auch die anschließende Weiterverarbeitung ist nicht mit den Maßstäben im Labor zu vergleichen. Die Investition in derartige Anlagen und die Markteinführung sind mit erheblichen Risiken verbunden. Ein Ziel sollte sein, eine Minimierung der Risiken zu erreichen, die neben den Investitionen auch Marktakzeptanz, Patente und gesetzliche Zulassung der Produkte betreffen.

Um einen Wechsel von der Nutzung fossiler Rohstoffe hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie zu erreichen, können steuerliche Maßnahmen oder finanzielle Instrumente wie Subventionen helfen, die Risiken für die beteiligten Unternehmen zu reduzieren.

Die Förderung von Partnerschaften zwischen Forschung (akademisch und industriell), etablierten Industrien (Chemie, Land- und Forstwirtschaft) und Anwendungsindustrien ist eine der vorrangigen Aufgaben von Clustern und Verbünden. So können frühzeitig Wissen geteilt, Vertrauen aufgebaut und Risiken minimiert werden.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​