Molekularer Maschinenbau: Minimalzellen für die Biotechnologie - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

Springe zu:

Springe zum Inhalt

08.06.2020

Molekularer Maschinenbau: Minimalzellen für die Biotechnologie

Kurz & Knapp
  • Aus einzelnen Molekülen lassen sich in kleinsten Strömungskanälen, die bis zu 100 Mikrometer groß sind, Minimalzellen zusammenbauen.
  • Minimalzellen bilden bestimmte Verhaltensweisen natürlicher Zellen künstlich nach, wie z. B. Stoffwechsel, Wachstum oder Bewegung.
  • Minimalzellen könnten zukünftig vielfältige Anwendungen in der Biotechnologie und in der Biomedizin finden.

Molekularer Maschinenbau: Minimalzellen für die Biotechnologie

Ein Beitrag von Kai Sundmacher, Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme, Magdeburg

In den Zellen von natürlichen Mikroorganismen, wie z. B. Bakterien, sind genetische Informationsspeicherung, Stoffwechsel und Signalübertragung in komplexen molekularen Netzwerken miteinander verknüpft. Zwar ist es gelungen, einzelne Teile dieser Netzwerke aufzuklären. Eine vollständige Entschlüsselung und eine präzise Vorhersage des Verhaltens natürlicher Zellen wurden jedoch noch nicht erreicht.

Konzept der Minimalzelle

Um Systeme mit vorhersagbarem Verhalten zu erhalten, schlagen wir das Konzept der Minimalzellen vor. Diese werden als molekulare Maschinen im Computer entworfen und aus molekularen Bausteinen „bottom-up“ zusammengebaut. Über die Zahl und Art ihrer Funktionsbausteine lässt sich die Komplexität der Minimalzellen beschränken. Minimalzellen sollen nicht sämtliche Verhaltensweisen natürlicher Zellen nachbilden, sondern nur ganz bestimmte Facetten, wie z. B. den Stoffwechsel.

Minimalzellen aus Vesikeln

Um Minimalzellen zusammenzubauen, benötigt man zunächst Kompartimente, in denen biomolekulare Prozesse ablaufen können. Solche Kompartimente lassen sich aus Vesikeln erzeugen. Dies sind rundliche Tröpfchen in der Größe von einigen Mikrometern, die von einer doppelten Membran umgeben sind. In dieser Membran können gezielt Proteine verankert werden, die ganz bestimmte Funktionen in der Minimalzelle übernehmen.

Köpfe des Wandels

Kai Sundmacher hat Maschinenbau und Verfahrenstechnik studiert. Seit 2001 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg. In seinen Forschungsprojekten befasst er sich mit der Entwicklung effizienter und Ressourcen schonender Prozesse für die Biotechnologie, für die chemische Produktion und für die Speicherung erneuerbarer Energien.

Herstellung von Minimalzellen durch Mikrofluidik

Proteine kann man aus natürlichen Organismen gewinnen und in einer Minimalzelle zu neuartigen Funktionsnetzwerken zusammensetzen. Dafür verwendet man kleinste Strömungskanäle mit einer Breite von weniger als 100 Mikrometern: In einem solchen Kanal werden kontinuierlich zunächst Vesikel erzeugt und dann nacheinander verschiedene Proteine im Pikoliter-Maßstab (10-12 Liter) injiziert. Am Ende dieser Fertigungsstraße kommen Minimalzellen in großer Zahl und mit identischen Eigenschaften heraus.

Kraftwerke für Minimalzellen

In Lebewesen, deren Zellen einen Kern besitzen, ist die Atmungskette der wichtigste Teil des Energiestoffwechsels, der in den Mitochondrien sitzt. Das sind die Kraftwerke der Zellen, in denen chemische Energie für eine Vielzahl von lebenswichtigen Prozessen gewonnen wird. Uns ist es kürzlich gelungen, ein Kraftwerk nach dem Vorbild der Natur in Vesikeln nachzubauen. Damit haben wir ein Funktionsmodul in der Hand, welches für die Energieversorgung von Minimalzellen genutzt werden kann.

Minimalzelle für die schnelle CO-Bindung

Grüne Pflanzen wandeln CO aus der Luft mit Sonnenlicht in Zucker um. Dieser Prozess der Fotosynthese wird durch Rubisco katalysiert – ein sehr langsam arbeitendes Protein. Eine weitaus schnellere CO-Bindung kann erreicht werden, indem man Hochleistungsproteine aus Purpurbakterien in ein künstliches Proteinnetzwerk integriert. Verbindet man dieses Netzwerk mit einem lichtgetriebenen Energiemodul und bettet es in ein Vesikel ein, so erhält man eine Minimalzelle. Mit dieser lassen sich aus CO wertvolle Substanzen erzeugen, wie z. B. Vorläufer für pharmazeutische Wirkstoffe oder Grundbausteine für umweltfreundliche Lösungsmittel und bioabbaubare Kunststoffe.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​