Nachhaltigkeitspolitik effektiv gestalten: Vom Modell in den Kopf und zurück - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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13.08.2021

Für nachhaltige, ressourcenschonende und umweltschonende Substrate

Kurz & Knapp
  • Politik ist ein zentrales Instrument zur effektiven Umsetzung der Bioökonomie.
  • Interaktive Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ist Voraussetzung für die Formulierung einer effizienten Nachhaltigkeitspolitik.
  • Computer gestützte Modellierung und digitale Tools ermöglichen ein innovatives Design von in der Gesellschaft verankerten Politikprozessen, die ein dynamisches Politiklernen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft ermöglichen.

Nachhaltigkeitspolitik effektiv gestalten: Vom Modell in den Kopf und zurück

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. Christian Henning, Institut für Agrarökonomie, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Regierungen, Forschende und Unternehmen rund um den Globus zielen mit dem Konzept der Bioökonomie auf eine fundamentale Transformation unserer Wirtschaft, und sie erhoffen sich Lösungen für die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts: Wie können in Zeiten des Klimawandels immer mehr Menschen von immer weniger Ressourcen mit Nahrung, Energie und Materialien zugleich versorgt werden? Aber Bioökonomie ist weit mehr als nur eine technische Herausforderung. Einerseits werden sich nicht alle fundamentalen Zielkonflikte durch technische Innovationen lösen lassen. Andererseits müssen technische Lösungen politisch durchsetzbar sein.

Köpfe des Wandels

Christian Henning ist Professor für Agrarpolitik an der Universität Kiel und hat Agrarwissenschaften, Soziologie, Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Mathematik studiert. Seine zentralen Forschungsfelder umfassen die Entwicklung innovativer Methoden zur Evaluation und Modellierung politischer Entscheidungsprozesse inklusive, Wahlverhalten, Lobbying und legislative Bargaining sowie der Bildung politischer Beliefs in politischen Kommunikationsnetzwerken.

Interaktive Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft

Die Formulierung effizienter Nachhaltigkeitspolitik ist komplex und erfordert nicht nur eine genaue Kenntnis der technischen Wechselwirkungen zwischen ökonomischen und ökologischen Systemen, sondern auch eine genaue gesellschaftliche Bewertung der relevanten Ökosystemleistungen – wieviel ist Biodiversität im Vergleich zum Wirtschaftswachstum wert?

Solche fundamentalen Bewertungsfragen lassen sich nur unter Beteiligung der gesamten Bevölkerung klären. Darüber hinaus sind Wechselwirkungen zwischen Ökonomie und Ökologie bis heute wissenschaftlich nicht perfekt erforscht. Für viele Nachhaltigkeitsfragen wie den Klimaschutz oder den Erhalt der Biodiversität gibt es konkurrierende wissenschaftliche Modelle, die von unterschiedlichen Annahmen ausgehen und zu unterschiedlichen Aussagen führen.

Dies wird als fundamentale Modellunsicherheit bezeichnet. Um dann noch sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, muss man unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten dafür annehmen, dass die konkurrierenden Modelle korrekt sind. Dies nennt man die Bildung von Modell-Beliefs. Optimale Politiken werden dann auf der Grundlage von Modellfamilien als Maßnahmen identifiziert, die bei gegebenen Modell-Beliefs angestrebte Ziele mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit erreichen.

Ohne die Modell-Beliefs lassen sich keine wissenschaftlich fundierten Aussagen treffen. Entsprechend müssen die Modell-Beliefs in der Gesellschaft verankert sein. Bürgerinnen und Bürger haben als wissenschaftliche Laien allerdings sehr individuelle und oftmals verzerrte Politikvorstellungen, auch Stakeholder-Belief genannt. Daher ist der interaktive Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, in dem Stakeholder-Beliefs und Modell-Beliefs harmonisiert werden, eine wichtige Vorrausetzung um ein mögliches Politikversagen zu vermeiden.

Computer gestützte Modellierung und digitale Tools als innovative transdisziplinäre Designs von Nachhaltigkeitspolitik

Ziel ist es, innovative transdisziplinäre (d.h. auf den Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft aufbauende) Politikprozesse zu entwickeln, die ein interaktives Lernen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen. Ein wichtiges Werkzeug hierbei sind Computational Political Economy Models (CGPEs). Das sind ökologisch-ökonomische Verbundmodelle, die direkt mit mathematischen Politik-Modellen zur Abbildung wirtschaftspolitischer Entscheidungen integriert werden.

Mit diesen Modellen lässt sich simulieren, was real bei unterschiedlichen Modell-Beliefs passieren würde, wenn bestimmte Politikprogramme, sei es die Regulierung der CO2-Emissionen oder Investitionen in Bildung oder Infrastruktur, umgesetzt werden. Mit Hilfe digitaler graphischer Oberflächen wird eine interaktive Nutzung der Modelle durch Stakeholder (BürgerInnen) ermöglicht, wobei diese ihre Vorstellungen (Stakeholder-Beliefs) hinsichtlich der Politikwirkungen anhand der Modelloutputs anpassen. Umgekehrt erlauben diese auch ein Modelllernen, d.h. Modell-Beliefs werden auf der Grundlage von kommuniziertem praktischem Stakeholder-Wissen angepasst. Mit dem CGPE-Ansatz lassen sich dann auch partizipative (auf den gesellschaftlichen Dialog aufbauende) Prozesse, d.h. formelle Regeln und informelle Kommunikationsnetzwerke, identifizieren, die ein effizientes politisches Lernen und damit die Formulierung einer politisch durchsetzbaren effizienten Nachhaltigkeitspolitik ermöglichen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​