Was trauen BürgerInnen der Bioökonomie zu? - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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21.10.2020

Was trauen BürgerInnen der Bioökonomie zu?

Kurz & Knapp
  • Viele BürgerInnen befürworten die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, sind aber zugleich gegen einen großangelegten Umbau der Natur.
  • Weil Natur für den Menschen mehr ist als bloße Ressource, kann die Ethik dabei helfen, Bewahrung und Innovation zusammenzudenken.
  • Wo Zielkonflikte offen kommuniziert werden, ist dies ein produktiver Beitrag zur Stärkung des Common Sense über die Bioökonomie.

Was trauen BürgerInnen der Bioökonomie zu?

Ein Beitrag von Stephan Schleissing, Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Innovationen wecken große Erwartungen. Indem sie das Vertraute infrage stellen, verunsichern sie aber auch. So geht es gegenwärtig der Bioökonomie. Sie gilt als Hoffnungsträgerin einer nachhaltigen Gesellschaft, deren Energie- und Stoffströme sich an den Kreisläufen der Natur orientieren. Um die BürgerInnen für dieses Projekt zu gewinnen, werden umfassende Ziele aufgestellt, die sich nicht auf Technik oder Natur beschränken, sondern den Wandel der Gesellschaft insgesamt im Blick haben. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen sprach bereits 2011 von einer „Großen Transformation“. Wie kommen solche Visionen bei BürgerInnen an?

Umwelt- und Klimaschutz haben für die Deutschen einen sehr hohen Stellenwert. Doch bei der technischen Umsetzung einzelner Maßnahmen votieren viele BürgerInnen höchst widersprüchlich. Dies macht das „TechnikRadar 2020“ deutlich, eine repräsentative Umfrage, die die Körber-Stiftung und die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) im Mai 2020 veröffentlicht haben. Eine große Mehrheit befürwortet, dass Deutschland beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangeht. Aber es bestehen auch erhebliche Widerstände gegen einen großangelegten Umbau der Natur. So stößt zwar bei drei Viertel der Befragten die Nutzung nachwachsender Rohstoffe für die Industrie auf Zustimmung. Zugleich sind aber zwei Drittel der Befragten überzeugt, dass der Mensch die Natur respektieren muss und nicht das Recht hat, sie nach seinen Bedürfnissen zu gestalten. Wie passt das zusammen?

Köpfe des Wandels

Dr. Stephan Schleissing ist evangelischer Theologe und seit 2009 am Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) an der LMU München tätig. Seine Forschungsschwerpunkte in den letzten Jahren erstreckten sich auf ethische Fragen zum Einsatz der „grünen Gentechnik“ und den Neuen Pflanzenzüchtungs-technologien. Gegenwärtig arbeitet er im Rahmen eines BMBF-Projekts zum Thema „Vorsorge und Innovation als ethische Prinzipien in der Biotechnologie“ am Entwurf eines ethischen Stufenmodells zum Einsatz von Genome Editing in der Landwirtschaft.

Zielkonflikte – oder: Alles zugleich geht nicht

In der Nachhaltigkeitsforschung spricht man immer dann von „Zielkonflikten“, wenn angestrebte Ziele nicht gleichzeitig zu realisieren sind oder Wirkungen eintreten, die die ursprünglichen Ziele durchkreuzen. Sogenannte Flächenkonkurrenzen bei der Nutzung von Biomasse und dem Anbau von Nahrungspflanzen gehören dazu, aber auch Konflikte zwischen der Optimierung des Nutzungspotenzials von Wäldern und dem Schutzgut der Artenvielfalt oder der Landschaft. Nicht nur die BürgerInnen produzieren bisweilen Widersprüche bei ihren Erwartungen an die Gestaltung von Natur. Auch die Transformationspfade der Bioökonomie, die den Ersatz fossiler Rohstoffe verwirklichen sollen, stehen vor dem Problem, nicht alles zugleich realisieren zu können. Unter den PlanerInnen ist man gleichwohl überzeugt, dass ethische Prinzipien dazu beitragen können, die Zielkonflikte in der Bioökonomie nicht nur zu erkennen, sondern auch Lösungen aufzuzeigen.

Der gesunde Menschenverstand fordert die Ethik der Bioökonomie heraus

In dieser Situation genügt es nicht, wenn die Ethik bloß als Sprachrohr großer Visionen einer nachhaltigen Welt auftritt. Interessanter ist das Aufspüren der Gründe, warum die Erwartungen der BürgerInnen an Natur und Natürlichkeit oft so unterschiedlich ausfallen. Eine Ethik der Bioökonomie muss hier in der Lage sein, moderne Techniken und das menschliche Bedürfnis nach einer Natur, die mehr ist als eine bloße Ressource, zusammenzudenken. Dabei ist sie gut beraten, wenn sie sich mit dem gesunden Menschenverstand befasst. Schaut man genauer hin, dann wird nämlich deutlich, dass dieser in konkreten Anwendungsfällen durchaus nicht technikfeindlich ist. Und gegenüber wissenschaftlicher Aufklärung ist er ebenfalls nicht immun. Innovationen in der Bioökonomie haben dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie die Zielkonflikte offen kommunizieren. Hier gibt es wahrscheinlich keinen „Königsweg“, sondern nur Kompromisse, die, wenn sie gut sind, auch das Vertrauen der BürgerInnen in die Politik stärken können.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​