Wie sich bioökonomische Geschäftsmodelle durchsetzen können - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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01.09.2021

Wie sich bioökonomische Geschäftsmodelle durchsetzen können

Kurz & Knapp
  • Bioökonomische Produkte brauchen einen ganzheitlichen Blick.
  • Bioökonomie braucht effektive Logistikketten und konkrete Recyclingoptionen.
  • Kreislauffähigkeit und technische Standards sind von Anfang mitzudenken.

Der ganzheitliche Blick auf die Wertschöpfungskette zählt

Ein Beitrag von Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold, Inhaberin der Professur BWL - Betriebliche Umweltökonomie und Nachhaltigkeit sowie Rektoratsbeauftragten für Nachhaltige Campusentwicklung, und ihrem Team, Technische Universität Chemnitz

Der bioökonomische Blick auf Herstellung und Nutzung verschiedener Produkte eröffnet neue Perspektiven und Märkte. Denn dass es sich bereits jetzt lohnt, in die nachhaltige Nutzung erneuerbarer natürlicher Ressourcen und deren Anwendung für Vor- und Endprodukte zu investieren, zeigen einige Beispiele sehr eindrücklich. Da ist zum einen die Herstellung eines betonähnlichen Materials aus Gemüse- und Obstresten, das sogar bruchfester als das Original ist. Auch das sogenannte Graspapier, das aus Papier und Gras hergestellt wird, ist ein Beispiel für so eine nachhaltige Produktinnovation. Zum anderen gibt es die Entwicklung von Forschenden der RWTH Aachen und von Covestro, die Kunststofffaser aus CO2 herstellen, das beispielsweise als Garn in der Textilindustrie genutzt werden kann.

Gleichwohl steckt der Teufel im Detail. Denn der Grad der Nachhaltigkeit hängt stark von der Betrachtungsweise ab. Das kann man sehr gut anhand des sogenannten Bioplastiks sehen, das nicht per se nachhaltiger ist als fossilbasierte Kunststoffe.

Zur Betrachtung und Einschätzung gehören unter anderem folgende Dimensionen: Welcher Referenzrahmen wird gewählt?

  • Welche Nachhaltigkeitskomponenten werden in eine Analyse einbezogen?
  • Welcher Vergleichshorizont wird gewählt?
  • Welche Kaskaden, Kreisläufe und Nutzungskonkurrenzen kommen zum Tragen?

Bioökonomie kann nur dann einen Beitrag zur nachhaltigen und klimaneutralen Entwicklung leisten, wenn die Potentiale biologischer Ressourcen im ganzen Wertschöpfungskreislauf genutzt werden und Zielkonflikte, Nutzungskonkurrenzen sowie Rebound-Effekte systematisch betrachtet werden.

Köpfe des Wandels

Prof. Dr. Marlen Gabriele Arnold ist Inhaberin der Professur BWL -Betriebliche Umweltökonomie und Nachhaltigkeit an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU Chemnitz und Rektoratsbeauftragte für Nachhaltige Campusentwicklung. Ein Schwerpunkt ihrer Forschungen liegt in Strategien, Geschäftsmodellen sowie Management- und Steuerungsinstrumenten zum dauerhaften Umweltschutz und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.

Es braucht ganzheitliche und nachhaltige Geschäftsmodelle

Die bioökonomische Produktion braucht auch einen Blick auf Theorien der Kreislaufwirtschaft und die praktische Realisierung. Denn zum einen bedeutet die Nutzung biologischer Grundstoffe nicht automatisch biologische Abbaubarkeit. Zum anderen können Produkte aus biologischen Ressourcen – zumindest theoretisch – eine hohe Nachhaltigkeit aufweisen, wenn spezifische Bedingungen bei der Rückführung in (Stoff-) Kreisläufe eingehalten werden. Zum Beispiel durch die Nutzung recyclingfähiger Materialien.

Allerdings gilt auch hier: Recyclebar bedeutet nicht automatisch, dass auch recycelt wird. Insbesondere Hybridprodukte wie das bereits angesprochene Graspapier werden aktuell häufig (noch) nicht recycelt. Gründe dafür können logistischer, technischer, stofflicher oder ökonomischer Natur sein. Ohne Geschäftsmodelle, die ganzheitlich auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind und die Nachhaltigkeitsprinzipien der Konsistenz, Effizienz und Suffizienz integrieren, geht es nicht.

Die stufenweisen Weiternutzungsoptionen müssen politisch, logistisch und technisch be- sowie gefördert werden. Der sogenannte Wertbeitrag (value proposition) braucht die komplette Palette der Nachhaltigkeit: Das betrifft die ökologische, soziale und ökonomische Dimension. Und die Zirkularität muss entlang der gesamten Wertschöpfungskette sichergestellt sein. Das bezieht häufig mehrere Wirtschaftssektoren zugleich ein – vom Primärsektor (Urproduktion) über den Sekundärsektor (industrielle Sektor), den Tertiärsektor (Dienstleistungssektor) über den Quartärsektor (Informationssektor) bis hin zum Quintärsektor (u. a. die Entsorgungswirtschaft).

Hindernisse bioökonomischer Geschäftsmodelle

Die Werthaltigkeit biologischer Materialien und Ressourcen liegt im Auge des Betrachters – der Mensch entscheidet darüber, ob etwas Abfall ist oder nicht. Wie schnell sich nachhaltige bioökonomische Produkte und Geschäftsmodelle durchsetzen, hängt auch von der individuellen Bereitschaft ab, neuartige und nachhaltige Materialien zu nutzen und Bedingungen für deren Wieder- und Weiterverwendung zu schaffen.

Die Märkte sind offen für bioökonomische Produkte, die Kundinnen und Kunden sind bereit, kreislaufausgerichtete Produkte zu kaufen. Dennoch gibt es Hindernisse für die unternehmerischen Pioniere bei der erfolgreichen weiteren Entwicklung und Marktfähigkeit bioökonomischen Innovationen. Dazu gehören fehlende Zugänge zu Schlüsselpartnern in zentralen Wirtschaftssektoren, ein Mangel an Kooperationspartnern, unzureichende sektorenübergreifende Vernetzung, zu lange Produkt-Entwicklungszyklen, fehlende oder inkompatible Recyclingsysteme und ein Mangel an Wissenszugang.

Doch wo Schatten ist, ist auch Licht: Werden Kreislauffähigkeit und Rezyklierbarkeit – also der Wiedereinsatz eines Produktes unter Vermeidung übermäßigen Materialverlustes – in technische Standards einbezogen, das Produktdesign konsequent an natürlichen Systemen und ein Denken in Kreisläufen ausgerichtet und Logistik sowie Dienstleistungen von Anfang an im Geschäftsmodell mitgedacht, können sich bioökonomische Produkte erfolgreich durchsetzen.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​