Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Industrie 4.0 – Potentiale für die Wirtschaft

Interview mit acatech-Präsident Prof. Dr. Dr.-Ing. Henning Kagermann

Für den Wirtschaftsstandort Deutschland eröffnet die vierte industrielle Revolution neue Möglichkeiten: die Förderung ressourcenschonender Produktion, die altersgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie die Einführung flexiblerer Arbeitsmodelle. Trotzdem müssen sich Unternehmen noch stärker als bisher auf die Digitalisierung einstellen, sagt Henning Kagermann.

Prof. Dr. Dr.-Ing. Henning Kagermann ist seit 2009 Präsident von acatech. Er ist Co-Vorsitzender des Arbeitskreises Smart Service Welt und Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität.

Wie wird sich der Produktionsstandort Deutschland durch die Industrie 4.0 verändern?

Wir sprechen nicht umsonst von der vierten industriellen Revolution mit einer völlig neuen Produktionslogik: Zentral gesteuerte Wertschöpfungsketten werden zu hochflexiblen Wertschöpfungsnetzwerken. Intelligente Produkte, Maschinen und Lagersysteme kommunizieren miteinander und steuern die Produktion aktiv mit. Selbst Einzelstücke werden zum Preis eines Massenprodukts hergestellt werden können.

Und wir werden neue Geschäftsmodelle sehen, die intelligente Produkte mit physischen und digitalen Dienstleistungen zu Smart Services kombinieren. Ein Hersteller kann beispielsweise über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts Zusatzdienste wie eine vorausschauende Wartung anbieten. Nicht zuletzt werden wir deutlich ressourcenschonender produzieren, weil sich die Produktionsprozesse der Industrie 4.0 in Echtzeit optimieren lassen – ein wichtiger Beitrag zur Energiewende. Industrie 4.0 bietet zudem das Potential für die altersgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen und flexiblere Arbeitsmodelle.

Welche Risiken bringt die flächendeckende Einführung von Cyber- Physical-Systems mit sich?

Cyber-Physical-Systems (CPS) sind die Schnittstellen zwischen physischer und virtueller Welt – eingebette Systeme, zum Beispiel in Maschinen für die Produktion, die sich über das Internet vernetzen und so das Internet der Dinge knüpfen. Sie sind die Infrastruktur der fortschreitenden Digitalisierung. Das gilt nicht nur für die Industrie 4.0, sondern auch für kritische Systeme wie Energie- und Verkehr. CPS erfassen und analysieren Daten aus der physischen Welt, um im nächsten Schritt Informationen auszutauschen oder über Aktoren, also Wandler, die elektronische Signale in mechanische Bewegung übersetzen, auf ihre Umgebung einzuwirken.

In hochgradig vernetzten Systemen breiten sich Angriffe auf einen wunden Punkt schneller aus als in isolierten Systemen. Abschotten ist aber keine Alternative, deshalb müssen wir Sicherheit neu denken: Resilienz ist das Sicherheitsparadigma des 21. Jahrhunderts. Wir müssen Infrastrukturen so einrichten, dass ein Angriff nicht das Gesamtsystem beeinträchtigt, unvermeidbare Beeinträchtigungen schnell überwunden werden und dass die Systeme aus Störungen lernen. acatech hat jüngst eine Position zum Thema vorgelegt.

Der Arbeitskreis Industrie 4.0 hat im letzten Jahr konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung ausgesprochen. Was ist bereits umgesetzt und wo hinken die Verantwortlichen noch hinterher?

Industrie 4.0 ist als technologiepolitisches Leitthema etabliert. Deutschland ist mit seinem starken industriellen Kern, seinen gut ausgebildeten Fachkräften sowie dem Know-how in den Bereichen Maschinenbau und eingebettete Systeme gut aufgestellt.

Mit der "Plattform Industrie 4.0" haben wir eine zentrale Ansprechpartnerin für alle etabliert, die sich in der Industrie 4.0 engagieren wollen: Unternehmen, Arbeitnehmervertreter, Politik und Wirtschaft. Unsere Empfehlungen sind angekommen. In konkreten Projekten wie Modellfabriken treiben alle beteiligten Akteure die Entwicklung voran.

Die deutschen Unternehmen müssen sich aber stärker als bisher auf die Digitalisierung einstellen, denn die Arbeitsteilung zwischen Produzenten, Zulieferern und Dienstleistern wird sich im Zeitalter der Smart Services ändern. Schon heute dringen Internetunternehmen in klassische Branchen vor. Auf der politischen Ebene brauchen wir den Ausbau eines digitalen Binnenmarktes in Europa und eine europäische Datenschutzverordnung.

Zum Film "Industrie 4.0 in zwei Minuten"